Opas Reisetagebuch - 65 – 26. - 30.9.2017 – Östersund – We love fika!

Prolog

 

Puh, dachte Opa, als er sich an dieses Reisetagebuch setzte. So lange nichts mehr geschrieben, so lange nicht mehr auswärts gewesen. Wobei das nicht stimmt. Denn Opa war schon unterwegs, zum Berliner Pokalfinale zum Beispiel, wo die Bifis Viktoria plattgemacht haben. Oder in Falkensee zum Freundschaftsspiel. Und natürlich auch in Rostock zum Pokalspiel. Dieses Tagebuch Nr. 64 kommt aber in den „Giftschrank“, gleich neben das vom Relegationsspiel in Düsseldorf. Zu überschattet war die Fahrt von den Ereignissen im Gästeblock und Opa möchte das Giftschränkchen irgendwann mal später veröffentlichen.

 

Ansonsten hat Opa sich über den Sommer im Wesentlichen damit beschäftigt, in der Laube voranzukommen. Dank tatkräftiger Hilfe von Freunden sind die Fußböden gefliest, alles für den Heizungseinbau vorbereitet und einiges an wichtigem Kleinkram erledigt, der viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt, aber der im Detail niemanden interessiert. Highlight war dann vor einigen Tagen, dass sich Opa einen Bagger ausgeliehen hat, um 30 Meter Versorgungsleitung zu ziehen. Seitdem ist klar: Baggern kann der Opa ;)

FOTO Bagger

 

Gut gegessen hat Opa auch über den Sommer. Ein Smoker wurde angeschafft, hauchzarte, saftige Sparerips gab's ebenso wie Pulled Pork, butterweich und megalecker nach 20 Stunden im Rauchschränkchen. Ob Opas Nachbarn auch so begeistert sind wie er, wenn er räuchert? :D

FOTO Smoker

 

Mitgliederversammlung war auch. Na klar mit dem üblichen Kartoffelsalat, aber eben auch mit einer sehr erregten Debatte über den Antrag einiger Mitglieder, dass die MV beschließen möge, Heimspiele nicht außerhalb der Berliner Stadtgrenzen abzuhalten. So sehr Opa diesen Vorschlag inhaltlich auch unterstützt, so sehr widerstrebte es ihm, diesen zu unterstützen. Erstens ist die MV des e.V. nach Opas Auffassung nicht zuständig dafür, zweitens braucht die Geschäftsführung der KGaA ein Druckmittel in den Verhandlungen mit dem Senat, der nicht nur gutes Geld für die Miete des Oly kassiert, sondern auch von jedem Cateringumsatz einen so happigen Anteil in die Stadtkasse steckt, dass einem der Bissen im Hals stecken bleibt und das schale Bier noch schaler wird.

 

Apropos Bier, zur neuen Saison beglückt uns ja auch ein neuer, altbekannter Bierpartner. Es ist ein Trauerspiel, aber Hertha hat vermutlich wieder ein Angebot bekommen, was man nicht ablehnen konnte. Also müssen wir die kommenden Jahre wieder ein bierähnliches Getränk eines dänischen Brauereiriesen ertragen. Gut, dass Herthaner leidensfähig sind.  

 

Vermisst hingegen wurde der Sommer, Opa kann sich an die halbe Stunde Sonnenschein aber gut erinnern und freut sich schon aufs nächste Jahr, wenn dieses Naturphänomen wieder auftritt. Gut, dass es zum Jubiläum von Hertha eine Ausstellung gab. Wenn auch nicht im eigenen Museum, das dürfte voraussichtlich erst eröffnen, wenn Weihnachten und Ostern gleichzeitig ist UND an dem Tag das Fanhaus eröffnet wird. Aber im Stadtmuseum hat man eine tolle Ausstellung zusammengetragen, die in jedem Fall sehenswert ist. Und für Opas Assifreunde: Immer am ersten Mittwoch im Monat ist der Eintritt frei.  

FOTO Putte mit Schal

 

Apropos Assi: Da es die Berliner Verwaltung nicht geschafft hat, eine Gedenktafel für die Gründer unseres Herzensvereins am Ort der Gründung aufzuhängen, haben das einige Herthaner selbst in die Hand genommen und einfach eine Bank am Arkonaplatz symbolisch in Beschlag genommen. Dort, in der Mitte Berlins, wurde von ein paar Lauselümmeln aus einfachen Verhältnissen einst Hertha BSC (okay, als BFC Hertha) gegründet. Wir sind bis heute dankbar dafür. Für beide Aktionen ;)  

FOTO WA Gedenktafel

 

Stichwort Nostalgie: Im Museum ist ein Originaltrikot der Meistermannschaft als Replika ausgestellt. Opa hat einen Hersteller aufgetan und bietet die hochwertige Trikotreplika aus authentisch 30er Jahre gekämmter Baumwolle einem ausgewählten Kreis von Herthanern zum Kauf an. Wer eins haben will, spricht bitte Opa an.  

 

Reiseplanung und -vorbereitung

 

Opa trug sich den Tag der Europapokal-Auslosung natürlich in den Kalender ein und verfolgte die Auslosung im Liveticker. Seine Wunschziele wie Island oder Kasachstan gingen zwar nicht in Erfüllung, mit der Auslosung konnte man aber sicher leben. Kaum war gelost, ging das übliche Nachrichtenbombardement „wie fahren wir“ und „wann gibt’s Karten“ los.

 

Opa war noch nie in Schweden, insofern stand die Reiseplanung unter dem Aspekt, dass man in dem Zusammenhang auch wenigstens etwas von Land und Leuten sieht, was am ehesten wohl mit dem Auto gehen sollte. Aber mit Opas rund 20 Jahre altem Micra? Das wäre dann wohl doch etwas zu viel des Abenteuers gewesen. Relativ schnell fand sich dann eine Truppe, die mit einem Neuner fahren wollte und die auch mit einem Tag längerer Anreise einverstanden war und auch sonst auf einem erstaunlich ähnlichem Niveau tickte, was Reiseplanung angeht.

 

Unterkünfte buchten wir auf einem der zahlreichen Campingplätze bzw. Kanustationen Schwedens. Beim Anreiseweg entschieden wir uns dafür, mit der Fähre von Rostock nach Trelleborg zu fahren. Die braucht für die 155 km Seeweg zwar über 7 Stunden, dafür spart man sich nicht nur etliche Kilometer Umweg über Flensburg und Dänemark, sondern auch die happige Maut für die Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden, die auch bei der anderen, deutlich kürzeren Fährverbindung zwischen Rostock und Gedser anfällt. Wir entschieden uns für die Nachtpassage, kurz vor Mitternacht auf die Fähre und morgens um 7:30 Uhr einigermaßen ausgeschlafen ankommen. So zumindest der Plan.

 

Als Proviant fiel für eine mehrtägige Fahrt Hackepeter natürlich aus, aber ein paar Fischbüchsen und Dosen Ravioli tun es zur Not ja auch, für Hertha kann man solche kulinarischen Opfer schon mal bringen. Am Abreisetag ging zudem in der Whatsappgruppe das „Ich bringe noch mit“-Spiel los, was dann zwischenzeitlich mal gebremst werden musste, denn was um aller Welt sollten wir in Schweden mit einer Kaffeemaschine?  

 

Für die Reisegruppe machte Opa noch ein Shirt, welches man hier käuflich erwerben kann. 

 

 

FOTO Shirt

 

Am Vorabend der Abfahrt nach Östersund erreichte Opa die Nachricht, dass Olaf „Datcheffe“ Lindner gestorben war. Tränen kullerten die Wangen herab, als Opa an seine Begegnungen mit Datcheffe dachte, der gegen eine unbarmherzige Krankheit aufopferungsvoll kämpfte. Opa wünscht seiner liebevollen Frau Conny, seinen Kindern und allen Angehörigen die Kraft, die schwere Zeit der Trauer zu überstehen. Und wünscht sich und der Herthafamilie, dass wir uns vielleicht nicht immer nur an Gräbern verstorbener Herthaner als Familie einig zeigen, sondern schon mal zu Lebzeiten netter miteinander umgehen. An dieser Stelle auch ein Dankeschön an Andreas Lorenz, der in den letzten Jahren seinem Freund Olaf nicht nur zur Seite stand, sondern auch alle daran erinnert, dass es Olaf noch gab, wenn der Alltag mal wieder die Erinnerung zu verblassen drohte. Möge Datcheffe in Frieden ruhen und im blauweißen Himmel weiterrocken.  

 

Anreise

 

Etwas abgehetzt kam Opa bei seiner Autovermietung an und obwohl wir nur zu acht waren und obwohl wir nur ein paar Tage unterwegs waren und obwohl wir eine Caravelle mit langem Radstand hatten, war der Kofferraum bis oben hin voll und es war jedesmal eine Herausforderung, die Statik des Haufens so herzustellen, dass dieser auch beim nächsten Öffnen der Heckklappe nicht aus dem Auto purzelt.

FOTO Haufen

 

Den ersten Stint nach Rostock fuhr Opa, leider hatte auf der Stadtautobahn jemand Öl verloren und diese war Richtung Norden voll gesperrt, was uns eine dreiviertel Stunde Zeitverlust kostete. Aber wir hatten genug Puffer. Nachdem wir dann endlich auf der Autobahn waren, verlief die Fahrt in die Hansestadt komplikationslos, die Stimmung an Bord war voller Vorfreude auf das erste europäische Auswärtsspiel seit einem guten Jahr, als es nach Bröndby ging.

 

Im Hafen Rostock mussten wir uns erstmal orientieren und nach einem kleinen Umweg über das Frachtterminal erreichten wir schließlich die richtige Warteschlange zum Check-In. Ein bißchen Grenzfeeling von früher kam auf, orange beleuchtet in der Zone, auch wenn wir früher nicht so frei herumgesprungen wären beim Warten aufs Vorankommen. In der Nebenspur tauchte dann plötzlich noch der Bus der Fanbetreuung auf, die ihren Weg über Gedser gewählt hatten.

 

Fähre fahren heißt warten lernen. Nach dem Check-In warteten wir noch über eine Stunde, wetterbedingt hatte unsere Fähre Verspätung. Na das ging ja gut los. Und so ergab sich die Möglichkeit für den einen oder anderen, sich in Rostock aufklebertechnisch zu verewigen, auch wenn Opa sich nicht sicher ist, ob man nun ausgerechnet einen Mülleimer zur Herthazone erkläre muss ;)

FOTO Herthazone

 

Als die Fähre dann endlich einlief, war man schon etwas ergriffen, wie groß der Seelenverkäufer ist. Majestätisch schob sie sich langsam an den Kai und spuckte dann eine atemberaubende Menge an LKW aus, die mit ihren 40 Tonnen im Vergleich zur Fähre wie Kinderspielzeug wirken.  

FOTO Fähre

 

Beim Beladen wurden erst die LKW-losen Auflieger an Bord verbracht sowie eine Ladung Fahrzeuge für Schweden, darunter neben diversen Paketautos eines italienischen Herstellers auch ein offensichtlich in Deutschland zum Polizeiauto umgerüsteter Volvo. Bei allen steckten außen die Schlüssel, was in Häfen so üblich ist, damit die Lader schneller arbeiten können. Als der Lader mit dem Volvo losfihr, meinte einer, der macht bestimmt gleich das Blaulicht an und exakt so kam es dann, mit beleuchtetem Weihnachtsbaum und Sirene heulte er am Gejohle seiner Kollegen vorbei an Bord.

 

Nachdem wir auch an Bord waren, suchten wir uns zunächst ein Plätzchen in einem der Schlafsäle. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sich eine Kabine zu nehmen, aber es ging ja auch ein bisserl ums Budget. Da die Schlafplätze gesichert waren, ging Opa noch ein wenig an Deck, um Seeluft zu schnuppern, die allerdings zumindest im vergleichsweise windstillen Hafen reichlich dieselgeschwängert war. Endlich legten wir ab.  

FOTO Ablegen

 

Opa bewunderte den langsam am Schiff vorbeiziehenden Hafen, entdeckte einen durchgerosteten und wenig vertrauenerweckenden Handlauf auf Deck...  

FOTO Handlauf

 

...hisste traditionell die Rixdorf Fahne...

FOTO Fahne

 

...bewunderte die beeindruckenden Eckdaten der Fähre, 200 Meter lang, 42.705 Tonnen (!) maximale Verdrängung, Platz für 600 Passagiere und eine Maschine mit 38.820 PS, die eine maximale Geschwindigkeit von 21 Knoten oder knapp 39 km/h ermöglichen, was locker dazu reichen würde, um hinter der Fähre Wasserski zu laufen.

 

Opa hing in der Seeluft Gedanken nach, was in den maximal 151 LKW an Bord wohl so alles drin sei. Nachgucken im Smartphone konnte bzw. wollte Opa nicht, denn nach Verlassen des Hafens war das einzige Netz an Bord das Satellitennetz von Maritime Communications, was pro Minute/SMS/MB happige mehr als 5 € kostet. Also verwarf Opa den Gedanken über Außenwirtschaftsstatistiken und genoss das Rauschen der Wellen, das Stampfen des Schiffs im leichten Seegang und das sonore Brummen des Schiffsdiesels durch die Nacht. Langsam wurde es kalt und Zeit, zu Bett zu gehen.

 

Im Schlafsaal traf Opa aber erstmal bekannte, die er von Heimspielen kennt und die mit dem Zug nach Schweden unterwegs waren und sehr stolz auf ihre Reiseplanung waren, denn auf der Rückfahrt würden sie punktgenau zum Anpfiff des am kommenden Sonntag stattfindenden Heimspiels zurück sein. Opa ist also nicht der einzige Wahnsinnige, der sich so etwas antut. Im Schlafsaal schnarchte es schon aus der einen oder anderen Ecke und an mehr als leichten Schlaf war nicht zu denken. Dazu kam ein merkwürdig schlafwandelnder Passagier, der im Schlaf auf allen vieren durch die Gänge kroch. Spooky. Für die Rückfahrt wollte Opa schauen, dass er eine Kabine kriegt.

 

Tag 2

 

Weit mehr als eine Stunde vor Ankunft eine markerschütternde Sirene, doch wer dachte, jetzt sei ein Alarm losgegangen, wirde von der Durchsage auf Schwedisch, Englisch und Deutsch beruhigt, das war nur das Signal, dass die Fähre bald ankommt. Und da um die Uhrzeit das Restaurant aufmacht, kurbelt man an Bord so die Verkäufe an. Flugs bildete sich eine Schlange von etlichen Metern direkt neben dem Speisesaal. Wer bis dahin noch nicht wach war, war es spätestens jetzt. Opa zog sich mit verknautschtem Gesicht seine Jacke an und ging an Deck. Und wurde belohnt mit einem Sonnenaufgang wie von einem Gemälde von Caspar-David-Friedrich, im Hintergrund war schon Schweden zu erkennen.   

FOTO Sonnenaufgang

 

Noch vor endgültigem Ablegen saßen alle in ihren Fahrzeugen und viele hatten die Motoren schon laufen, was die Luft auf dem Autodeck zum Schneiden schlecht machte. Bei LKW muss das ja so sein, damit der Bremsspeicher Druck aufbauen kann, auch die Kühlaggregate müssen laufen, aber warum die PKW um uns herum die Motoren laufen ließen, Opa wird das nicht verstehen. Wir rollten von der Fähre und enterten an der ersten Tankstelle erstmal die Kaffeebar. Gemütlich schaukelten wir erstmal weiter Richtung Malmö. Da wir ja Zeit hatten, fuhren wir zum Stadion des Klubs, zu dem es seitens der Herthafans freundschaftliche Beziehungen gibt wie zu Karlsruhe, Straßburg oder eben Malmö.  

FOTO Stadion

 

Noch ein schnelles Frühstück (schwedisch Frukost) bei einem Burgerbrater eingeschoben und ab ging es weiter, denn wir hatten reichlich Kilometer vor uns. Unser Zwischenziel war etwa 600 km entfernt und in Schweden darf man außerhalb geschlossener Ortschaften grundsätzlich nur 70 fahren, meistens ist 90 ausgeschildert, manchmal auch 110. Geschwindigkeitsübertretungen sind übrigens teuer, 10 km/h drüber kosten ein Bußgeld von 230 €, 20 km/h drüber 380 €. Da die Schweden aber äußerst freundliche Menschen sind, gibt’s nur so gut wie keine Kontrollen, sondern die Blitzer haben auch alle vorab Warnschilder, zumindest die stationären.

 

Ansonsten bekam Opa auf den ersten Kilometern hinter Malmö den Mund nicht mehr zu vor lauter Staunen. Eine atemberaubende Natur, gefühlt tausende Seen, einer schöner als der andere, Opa mag es ja eh, am Wasser zu sitzen, das ist nur noch zu toppen mit Lagerfeuer am Wasser. Opa beschloss zu diesem Zeitpunkt schon, dass er nicht zum letzten mal in Schweden gewesen sein will. Mit den richtigen Jungs, einem Räucherofen, einer Angel und einer Palette alkoholischer Getränke ließe sich das sicher ein paar Wochen gut aushalten.

 

Auf den ersten Kilometern Richtung Nordosten gibt es in Schweden sogar eine richtige Autobahn, man kann gemütlich rollen, außer an Baustellen gibt’s keine Staus und selbst die, die wir hatten, waren für deutsche Verhältnisse Kindergeburtstag. Hinter Jönköping kamen wir an einer Stadt vorbei, nach der ein berühmter Hersteller von Motorrädern und motorgetriebenem Werkzeug benannt ist, Huskvarna. Leider hatten wir nicht genug Zeit, das Museum zu besuchen, aber wie gesagt, das war nicht Opas letztes mal in Schweden.

 

Hinter Huskvarna machten wir Rast an einem Rasthof und genossen den Ausblick auf Schwedens zweitgrößten See, den Vättern. Wir wunderten uns über die riesige Menge an Militärfahrzeugen, die überall zu sehen waren und über die wir spotteten, dass so gefährlich die paar hundert Herthafans nicht sind. Opa googelte, was es damit auf sich habe, was in Schweden schon allein deshalb kein Problem ist, weil es selbst in der größten Einöde flächendeckend LTE Empfang gibt. Deutschland ist diesbezüglich Entwicklungsland. Die Truppenbewegungen waren Teil der Übung „Aurora 17“, die sich mit 19.000 schwedischen Soldaten und Unterstützung von 1.500 Soldaten der NATO mit einem vermeintlichen Angriff von einem Gegner aus dem Osten beschäftigt. Schon die Römer wussten: Si vis pacem para bellum – Willst Du Frieden, bereite Dich auf den Krieg vor.

 

Sofern man sich in Schweden an die Verkehrsregeln hält, kommt man nur quälend langsam voran. Erst nach knapp 10 Stunden gemütlicher Fahrt und einigen Pausen kamen wir auf unserem Etappenziel in Hällefors an, wo wir in einer Kanustation eincheckten, die uns mit einfachen, aber sauberen und zweckmäßigen Zimmern und einer Gemeinschaftsküche empfing. Neben der Rezeption hing ein ausgestopfter Elchkopf, der zu lustigen Selfies einlud. Wir aßen gemeinsam zu Abend und ließen uns das eine oder andere Bier schmecken, jedenfalls war der Mülleimer für Dosen relativ schnell voll :)  

FOTO Mülleimer

 

Tag 3 - Matchday

 

Die an sich erholsame Nacht endete früh, weil die Damen (Opa war bei den drei Damen untergekommen) um halb fünf aufstehen wollten, „um sich die Haare zu machen“. Opa hielt das erst für eine Scherz, bis am nächsten Morgen wirklich der Wecker zu einer Zeit klingelte, zu der man normalerweise ins Nachbarland einmarschiert. Opa brummte übellaunig seine Damen mit einem „Haare!“ an in der Hoffnung, dass er noch eine Mütze Schlaf bekäme. Leider waren die Damen jedoch nicht nur der Meinung, sich die Haare im Zimmer statt im Bad machen zu müssen, es scheint den Angehörigen weiblichen Geschlechts scheinbar auch unmöglich, das ohne ausgiebige wie ausgelassene Kommunikation zu erledigen. Der Tag fing also schon mal gebraucht an.

 

Nach einem gemeinschaftlichen Frühstück fuhren wir durch immer herbstlicher werdende Wälder, die uns mit irren Farbspielen verwöhnten. Auf diesem Teilstück der Reise gab es keine Autobahn mehr, nur noch Landstraße mit endlosen Distanzen zwischen den Siedlungen, teilweise kam uns gefühlt eine Stunde kein Auto entgegen. Und ein See nach dem anderen, atemberaubend schön, wenn man nicht zu einem Herthaspiel müsste.

FOTOS Landschaft

 

Beim Tankstop irgendwo auf halber Strecke kicherten wir dann wie alberne Teenager über die an der Zapfsäule angebrachte Werbung

FOTO We love fika!

 

Was für deutsche Ohren anzüglich klingt, ist in Wahrheit nichts weiter als schnöde Werbung für Kaffee. Weiter ging's und zum Zeittotschlagen übten wir einen Schlachtruf ein, den einer von einer anderen Fahrt mitbrachte und der, wenn alle mitmachen, durchaus lustig ist. „Bananenschale, Toilettenpapier, Muskatnuss, ja die Muskatnuss!“ Kichernd schaukelten wir durch die endlosen Wälder und zum Teil schmalen Gässchen.  

FOTOs Schmale Straßen und immer wieder Seen, Seen, Seen

 

Als wir endlich in Östersund ankamen, checkten wir auf dem Campingplatz ein, auf dem wir drei Hütten gemietet hatten. Huiuiui, ganz schön klein die Hütten, gerade mal knapp 8 Quadratmeter für jeweils 4 Personen, das würde sicher eine interessante Nacht werden, vor allem, weil wir am nächsten Tag ja über 1000 km fahren würden müssen. Egal, es roch schon nach Stadion und Opa war heiß wie Frittenfett. Auf dem Weg zum Stadion hauten wir uns bei einem schwedischen Burgerbrater auf dem Parkplatz des Supermarkts nebenan noch einen Spirachaburger rein, dessen Werbung uns die letzten 2 Tage neugierig gemacht hatte. Und in der Tat war der wirklich empfehlenswert, sowohl in der von Opa verkosteten Beef-Variante als auch mit Halloumi.

 

Und die Schweden, auf die wir so trafen, waren alle ausnahmslos höflich, dass man als Berliner schon irritiert sein muss. Alle waren gastfreundlich, jeder spricht englisch, Fragen nach, ob man mit Euro bezahlen kann, werden auch in der Regel positiv beschieden.

 

Freundlich war auch der Ordnungsdienst am Stadion, der uns und alle Berliner Fahrzeuge auf den Gästeparkplatz lotste. Eine Polizeistreife hielt an und fragte freundlich, ob wir eine gute Fahrt hatten und sie wünschten uns ein gutes Spiel. Obwohl es in Schweden verboten ist, in der Öffentlichkeit Alkohol zu sich zu nehmen, war denen das genauso egal wie, dass hinter ihrem Bus erstmal alle ankommenden Berliner Fans in den Wald strullten.

 

Opa beschloss, wenn er in Berlin zurück ist, erstmal wieder Bus zu fahren, um sich durchs Anpöbeln durch den Busfahrer erstmal wieder auf Berliner Freundlichkeitsniveau zu kalibrieren zu lassen.

Nebenan hielten weitere Neuner, die zum Teil die ganze Nacht durchgefahren waren. Eine Truppe machte sich auf einem Gaskocher erstmal eine heiße Suppe.  

FOTO Suppe

 

Das Stadion selbst ist ein besserer Sportplatz mit Holztribünen, eine solche Anlage findet man in Liga 3 oder 4 bei uns auch.  

FOTO Stadion

 

Am Einlass dann ein Novum, auch die Männer wurden von Frauen kontrolliert. Auf die Frage, ob sie auch angemessen für diesen Job bezahlt werde, antwortete Opas äußerst freundliche Kontrolleurin „Oh yes, they have to pay a lot of money“ und grinste dabei. Die Zufriendenheit vieler Schweden scheint auch darin begründet zu liegen, dass sie selbst für einfache Jobs scheinbar relativ ordentliches Geld verdienen.

 

Im Stadion

 

Apropos Geld. Schweden gilt gemeinhin ja als eher teuer, im Stadion hingegen sind die spottbillig. Tee für umgerechnet 1,50 €, Kaffee und 0,5 l Softdrinks für 2,50 € - da kann man in Deutschland oberhalb von Oberligaspielen nur von träumen. Und penetrant freundlich, das ist der Wahnsinn. Bezahlen mit Euro? Kein Problem. Und dass es keinen Alkohol gab, lag ja nicht an den Gastgebern, sondern an der UEFA, die bei internationalen Spielen das generell untersagt. Naja.

 

Vom Gästeblock aus trennt übrigens nur die Werbebande die Fans vom Spielfeld. Keine Zäune, keine Knastzustände, einzig ein Fangnetz vor der Tribüne, das war's. Warum wir in Deutschland da so ein Geschisse drum machen, ist einigermaßen unverständlich, wenn man die dortigen Verhältnisse sieht.  

FOTO Spielfeldrand

 

Das Spiel

 

Hertha kam nicht in die Partie. Den Spielern war der Umgang mit dem unbekannten Untergrund, man spielt in Östersund auf Kunstrasen, sichtlich fremd. Die Gastgeber zeigten ein gänzlich anderes Zweikampfverhalten, waren bissiger, kombinierten flüssiger und machten den eigentlich vorhandenen Klassenunterschied vergessen, Östersund hat einen Kader im Wert von gerade mal 5 Mio. €, der teuerste Neuzugang kostete 75.000 €. Aber sie kamen nicht nur mit dem Platz besser zurecht, sondern hatten auch Hilfe vom italienischen Schiri, der unberechtigterweise einen Elfmeter gegen Hertha pfiff.

 

Und dann kam da noch das typische Herthaproblem ans Licht. Wir erspielen zu wenig Chancen. Gerade mal 38 Flanken gingen in den Strafraum, von denen kamen aber nur 4 beim eigenen Spieler an. Kein Wunder, dass da unsere Offensivabteilung relativ blass aussieht. Die paar Standards konnten wir zudem nicht nutzen, da wir mit Plattenhardt unseren besten Standardspezialisten daheim gelassen hatten. Und so sahen wir bei Eckbällen und Flanken dann Patrick-Ebert-Gedächtnisfußball – ein Arm hoch bedeutet, dass der Ball vorm Tor ins Aus geht, zwei Arme heißt, er geht hinterm Tor ins Aus, kein Arm nach oben heißt, der Ball segelt über den Strafraum hinweg ins Seitenaus. Manchmal fragt sich Opa während eines Spiels, was unsere Spieler denn wohl so beruflich machen. Leistungsgerecht hätte das Spiel unentschieden ausgehen müssen, denn von den Gastgebern kam sportlich auch so gut wie nichts.

 

Fantechnisch gab es bei den Östersundern einen etwa 100 Mann starken Stimmungskern, die immer wieder mal zu hörende Stimme aus deren Megafon klang sehr jung, fast weiblich, was sich beim Betrachten der Bilder im Nachhinein dann erklärte. Die haben eine Frau als Vorsängerin. Auch eine interessante Variante, die hierzulande bis auf wenige Ausnahmen eher undenkbar erscheint.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit gab's im nicht wirklich komplett gefüllten Block der Herthaner eine große Pyroshow, quittiert von Pfiffen des Heimpublikums. Nachdem der Rauch sich gelichtet hatte, ging das Elend namens Spiel dann weiter. 650 mitgereiste Herthafans versuchten, irgendwie noch das Beste draus zu machen, was ohne Dach traditionell eh schwierig ist, weil man das Gefühl hat, total leise zu sein. Opa stellte sich zwischendruch etwas abseits, nein, wir waren nicht leise.

 

Quervergleiche zu anderen Mannschaften wie die Kölner, die mit 15.000 Mann nach London reisen, findet Opa auch einigermaßen unsinnig. Östersund ist erstens nicht London, es ist bei weitem nicht so einfach, dorthin zu kommen wie nach London, wo alle 30 Sekunden ein Flieger landet. Zweitens hat London touristisch sicher drumherum erheblich mehr Strahlkraft, dass man seinen Schatz dazu überreden kann, einen Städtetrip mit Fußball zu kombinieren. Und drittens dürften unter den mutmaßlich 15.000 Kölner sicher einige tausend Dortmunder gewesen sein, die am Tag zuvor ebenfalls in London spielten und von denen viele geblieben sein dürften, um die befreundeten Fans zu treffen. In Östersund gibt’s und gab's all diese Umstände nicht. Daher sollten wir lieber stolz auf jeden einzelnen Herthaner sein, der sich auf den Weg gemacht hat. Opa ist es jedenfalls.

 

Nach dem Spiel ging es bedröppelt Richtung Busse. Man verabschiedete sich, wir entschwanden Richtung Campingplatz, tranken noch ein Bier, aßen etwas vom Bratfisch aus Dosen...

FOTO Brathering

 

...und entschwanden in die Kabine, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf abzukriegen.

 

Tag 4 – Rückfahrt

 

Der Wecker klingelte um 5, um 6 Uhr wollten wir abfahren. Nachdem Kaffee gekocht war, fing Opa an, den Kofferraum zu packen, als ihm auffiel, dass das Gepäck der Damen und auch selbige nicht da waren. Und das Gepäck oben auf die Fresstüten draufpacken macht halt auch keinen Sinn, also warteten die Männer, bis die Damen wenige Minuten vor Abfahrt mitsamt Rollkoffer und Beautycase erschienen und vermutlich nicht nachvollziehen konnten, weshalb Opa Blutdruck hatte. Opa kann das in solchen Momenten auch nicht so wirklich erklären, aber antreiben schafft er. Mit 14 Minuten Verspätung rollten wir los, das Navi zeigte 1.085 km Strecke an und am Ende sollte es noch mehr sein, denn aufgrund einer Vollsperrung mussten wir noch einen Umweg fahren.

 

Unser Fahrer hatte sich vorgenommen, „Strecke zu machen“ - in Anbetracht der Kontrolldichte ein durchaus kalkulierbar erscheinendes Risiko. Während der Rest des Busses über weite Strecken der Fahrt tief und fest schlummerte, schaute Opa besorgt auf den Tacho und googelte nach dem Strafrahmen für zu schnelles Fahren weit oberhalb der 20 drüber. Ging aber alles gut. Darüber hinaus buchte Opa während der Fahrt noch eine Kabine nach, was sich noch als äußerst sinnvoll erweisen sollte. Beim Tanken bewunderten wir beheizte Schränke an den Tankstellen für Luft und Wasser (was bei uns auch eine feine Erfindung wäre).

FOTO Heizschrank

 

Und tatsächlich schafften wir es trotz Pausen, trotz Umweg und trotz freilaufender Kuh...

FOTO freilaufende Kuh

 

...vor der prognostizierten Ankunftszeit anzukommen. So mussten wir in Trelleborg etwas Zeit totschlagen. Eine kurze Stadtrundfahrt im Dunkeln war dann aber ziemlich ernüchternd, da gibt’s nichts und das was es gab, war schon geschlossen. Also in einen der großen Supermärkte und mit den letzten Kronen noch etwas Verpflegung und Andenken erworben. Andere Länder, andere Sitten. Bei uns gibt’s Obst, Gemüse und Nüsse als lose Ware, in Schweden gibt’s Shrimps und Krabben zum Selberschaufeln:

FOTO Kühltruhe

 

Nachdem wir auf der Fähre eingecheckt waren und wieder darauf warteten, an Bord fahren zu dürfen, rollte von hinten ein Bus mit erheblich beschädigter Frontscheibe auf die Wartespur neben uns. Ein Bus von Herthafans hatte einen Elch erwischt und entsprechend viel zu erzählen gab's davon. Opa will nichts vorwegnehmen, was es demnächst sicher bei den Kollegen im „Tagebuch der alten Dame“ zu lesen geben wird.

 

Auch auf dem Rückweg hatte unsere Fähre wetterbedingt Verspätung, als wir endlich an Bord waren, suchten sich alle hektisch Schläfplätze und die Fähre war auch deutlich ausgebuchter als die von der Hinfahrt, weshalb Opa auch froh war, sich eine Kabine gemietet zu haben. Doch noch blieb er bei ein paar Altherthanern auf ein Kaltgetränk sitzen und ließ das Erlebte der letzten Tage nochmal Revue passieren, während andere kunstvoll ihre Handys freischwingend lagerten.

FOTO Hängehandys

 

Irgendwann meldete sich eine von Opas mitreisenden Damen und drückte ihm einen neuen Zimmerschlüssel in die Hand. So laut schnarcht Opa doch nicht, dachte er, doch man hatte uns wegen eines Heizungsausfalls in der ursprünglichen Kabine umquartiert. Opa war das egal, er war ja eh noch wach, aber für die, die sich schon vor über einer Stunde zurückgezogen hatten, war das natürlich blöd. Egal, Opa ließ sich noch einen Becher schmecken, während das Schiff durch die Nacht und die Wellen stampfte und rollte.

 

Nach einer ebenfalls kurzen Nacht, die wieder mit der Sirene endete (die auf der Hinfahrt von Opas Kumpel jemand überhört hatte, weshalb der erst mit einer dreiviertel Stunde Verzögerung von der Fähre kam), begab sich Opa zum Frühstück an Deck. Ein noch herrlicherer Sonnenaufgang und dazu ein Becher Krabben, den sich Opa von seinen letzten Kronen gekauft hatte. Das muss dieser Reisestress sein, über den die im Privatjet fliegenden Spieler immer jammern.  

FOTO Krabbenfrühstück

 

Als die Sonne überm Horizont aufging, war schon bald darauf die Hansestadt Rostock in Sicht, die an sich ganz liebenswert wäre, wenn die da nicht so komische Fans des örtlichen Fußballvereins hätten.

FOTO Sonnenaufgang

 

Vorbei an der im Hafen ankernden AIDA...

FOTO AIDA

 

...ging es zum Fährterminal. Nachdem wir nochmal Diesel und Kaffee gebunkert hatten, gingen die letzten Kilometer ganz flüssig Richtung Hauptstadt. Mit Null Punkten, aber mit jeder Menge wunderschöner Eindrücke und groggy von den vielen Kilometern in den wenigen Tagen kehrten wir heim. Würde man sich das nochmal antun? Na klar, nach Bilbao ist der Neuner schon gemietet.