Opas Reisetagebuch – 11.2.2017 – Gelsenkirchen – Tradition ist manchmal zum Kotzen

Prolog

Opa war schon lange nicht mehr auswärts gefahren, das letzte Spiel lag bereits fast 2 Monate zurück. Nun war die Spielweise zuletzt von Hertha genauso wenig einladend wie das Drumherum, doch eins nach dem anderen.

 

Das letzte Heimspiel vor der Winterpause gewann Hertha zwar, aber es zeichnete sich schon ab, dass der Trend nicht zum Freund von Hertha würde. Zu ideenlos die Spielweise, zu auffällig die bekannten Probleme im Spielaufbau, zu tief stehend. Es sprach und spricht vieles dafür, dass die Rückrunde eher herthatypisch wenig optimal verlaufen wird. Wer nach Traditionen ruft, voilà, bitte sehr, da ist sie, die traditionelle Rückrunde des Grauens. Still erduldet der leidgeplagte Herthaner dieses Ritual, immerhin diesmal ohne Abstiegsangst. Wäre da nicht unsere Vereinsführung, die den schwindenden Zuschauerzuspruch ausschließlich aufs Stadion schiebt.

 

Stadionneubau

Nun ist Opas Position zum Thema Stadionbau seit Jahren relativ eindeutig. Ja, das Oly ist schön und architektonisch beeindruckend, aber es ist eben ein Leichtathletikstadion und mit den Auflagen des Denkmalschutzes eben eine Art Freilichtmuseum mit vielen Minuspunkten, die es für viele potentielle Stadionbesucher uninteressant machen. Zu lange Wege zu den Kiosken, eine suboptimale Toilettensituation, im Oberring zieht es wie Hechtsuppe und wirklich viel sehen kann man abseits der Tribünen ohne Opernglas eher auch nichts. Daher ist es richtig, DASS sich mit dem Thema beschäftigt wird. Wie das geschieht, entspricht leider Gottes auch der Herthatradition. Der Begriff „tapsig“ beschreibt es wohl am besten.

 

Da wird ausgerechnet das Architekturbüro mit dem ersten Teil der Machbarkeitsstudie beauftragt, welches auch schon beim Flughafendesaster des BER federführend war. Da wird, wohl auch in der Erregung, den Senat, der Hertha mehrfach vor der Pleite rettete, zu einem Mitmachen oder wenigstens Wohlwollen zu überreden, laut über Standorte außerhalb Berlins nachgedacht. Der Schlachtruf „In Berlin, an der Spree, gibt’s nur Hertha BSC“ muss dann ersetzt werden. Was reimt sich aber auf „Luckenwalde“, „Drewitz“ oder auf „an der Nuthe“? 

FOTO In Berlin an der Spree gibt’s nur Hertha BSC

 

Es mag sehr viele rationale Gründe geben, die dafür sprechen, zumindest eine solche Standortwahl in Betracht zu ziehen, Förderung durchs Bundesland, Lärmschutzverordnungen, Flächenverfügbarkeit etc. Aber emotional ist da eine rote Linie.

 

Und als wäre das noch nicht Zumutung genug, tut Hertha so (oder lässt es so über die üblichen Verdächtigen verlautbaren), als sei ein neues Stadion ohne jede Alternative. Übrigens ganz ohne über Mittel zu verfügen, die für eine solche Investition notwendig sind. Nun ist es nicht unüblich, dass Investitionen in Sportstätten über Stadionfinanzierer abgewickelt werden. Dass man sich da aber in existenzgefährdende Abhängigkeiten begibt, darf nicht verschwiegen werden. Was ist, wenn bei Hertha mal wieder eine sportliche Delle vorbeischaut? Was, wenn ein sofortiger Wiederaufstieg nicht klappt? Dann könnte die neue Betonarena schneller zur Belastung werden als Hertha den Antrag auf Erteilung der Lizenz ausfüllt.

 

Und noch etwas: Hertha ist bis mindestens 2025 Mieter im Olympiastadion, der Vertrag wurde ja gerade verlängert. Wie dämlich muss man eigentlich sein, dann die Spielstätte, die man noch rund 8 Jahre vermarkten muss, derart schlecht zu reden? In Kombination mit dem wenig sehenswerten Fußball dürfte hier der wahre Hauptgrund zu finden sein, weshalb die Zuschauerzahlen rückläufig sind.

 

Die „Rettung“ der Hertha – Traditionspflege oder Seemannsgarn?

Die Ränkespiele bei Hertha gehen aber noch weiter. Da ließen sich zwei Präsidiumsmitglieder für die angebliche Rettung der Hertha feiern, das Schiff, nach dem unser Verein benannt wurde. Ohne Konzept, ohne Geld, ohne Unterstützung vom Verein wurde mit heißer Nadel zur letzten Mitgliederversammlung eine Story gestrickt, die den Anschein erweckte, man hole die Hertha heim. Das sicherte nicht nur Jubel, das sicherte vor allem die Wiederwahl. Mit Hostessen in „Phantasieuniformen“ sammelte man schon mal Interessenten für die Schiffsaktie. Wer sich den Anlegerprospekt mal durchgelesen hat, wird wissen, dass man für die stolze Einlage von immerhin 399 € zwar ein Messingschild am Rumpf mit dem eigenen Namen erhält, aber eben auch nicht nur keinerlei Mitspracherecht hat, sondern auch noch völlig unklar ist, was denn aus dem Schiff werden soll. Das soll nämlich nach Kassenlage entschieden werden.

 

An dieser Stelle sei der Hinweis darauf gestattet, dass es bei Hertha eine gewisse Tradition hat, solche Projekte anzukündigen. Die Umsetzung scheint man für „Gedöns“ zu halten, Nachfragen danach werden als „unverschämt“ betrachtet. Beispiele gefällig?

 

„Erfolgsprojekt“ Hertha-Museum

2007, also vor 10 Jahren, war symbolischer Spatenstich fürs Herthamuseum. Als sich die alljährliche Ankündigung der baldigen Eröffnung auf den Mitgliederversammlungen zu einem ähnlichen „running gag“ wie Fragen zu Motorradhelmhinterlegungen oder dem Weihnachtssingen zu entwickeln drohten, wurde versprochen, dass das Museum nun zur 125 Jahr Feier in diesem Jahr kommt. Erst kürzlich wurde angekündigt, dass es anlässlich des 125jährigen Jubiläums eine Sonderschau im Stadtmuseum gibt. Nachfrage bei Twitter, ob das bedeutet, dass das Herthamuseum doch nicht wie versprochen im Jubiläumsjahr öffnet, blieben von Hertha unbeantwortet, es gab aber eine indirekte Bestätigung seitens des Stadtmuseums, dass das Museum nicht öffnet.

 

„Erfolgsprojekt“ Fanhaus

Wohl auch zur Besänftigung der im Abstiegsjahr 2009 aufgebrachten Fans kündigte Hertha an, ein Fanhaus zu errichten. Als Treffpunkt vor und nach den Spielen, als Lager für Fanmaterial, als Treffpunkt für Choreovorbereitungen etc. Dafür wurde ohne Einbeziehung der aktiven Fanszene eigens ein Verein gegründet, es wurden Gelder gesammelt, Pläne diskutiert und die Fertigstellung bis Ende 2014 versprochen. Stand im Jahr 2017: Kein Grundstück, keine Planungen, kein Fanhaus. Selbst, wenn der Bau bald begönne, mit einer Fertigstellung ist wohl kaum zeitnah zu rechnen.

 

Und nun also das nächste „Erfolgsprojekt“ Dampfer?

Opa wünscht den Machern des Dampferprojekts alles Gute, aber so wie derzeit damit umgegangen wird, kann und wird Opa dieses Projekt nicht unterstützen. Zu großteilig die notwendige Investition, zu ungewiss das Vorhaben, zu unsicher die Realisierung. Mal gucken, ob und wann man nachzubessern anfängt. Stand jetzt haben sich die Macher ein nicht mehr seetüchtiges Schiff mit rein emotionalem Wert für ziemlich teures Geld andrehen lassen und nun sollen andere für ihr Vorhaben bezahlen, was nur vage skizziert wird, im Ungewissen bleibt und wo vor allem kein anderer mitbestimmen soll.

Spannend wird dabei sein, welches der Projekte zuerst fertig wird. Museum, Fanhaus oder die Heimholung und Restaurierung des Dampfers. Oder vielleicht ein neues Stadion? Welchen Sinn macht dann ein Museumsstandort am recht abseits gelegenen Glockenturm? Wohin dann mit dem Fanhaus (so es denn überhaupt fertig wird)?

 

Und die selben Verantwortlichen wollen ein 200 Mio. € plus x Stadionprojekt stemmen? Opa wird bei dem Gedanken leicht „blümerant“.

 

Aber hey, wir haben ja 226.000 Follower

Nun hat man bei Hertha tatsächlich geschafft, etwas Schwung in die Kommunikation und Außendarstellung zu kriegen. Es wird getwittert, gesnappt und gefacebooked, dass älteren Fans schon mal schwindelig wird. Opa findet's richtig gut, wären da nicht ein paar Nebengeräusche, die man unter die Lupe nehmen muss.

 

Bisweilen kommt es Opa vor, dass der in der Geschäftsführung verantwortliche Manager seine Position bei Hertha primär dafür nutzt, um in 6 Stunden eine Powerpointpräsentation zu bauen, mit der er in 30 Minuten eine Geschichte erzählt, die er auch in 5 Minuten hätte kommunizieren können. Doch viel fragwürdiger als der inhaltsleere Marketingsprech sind Fragen, weshalb da seine Kumpels in der Startupszene protegiert werden. Die „digitale Anleihe“ war nichts weiter als ein komplizierter Kredit, dessen aufgeblähte Nebenkosten zu Lasten von Hertha gehen, aber direkt in die Taschen irgendwelcher Start-Up-Futzies flossen.

 

Unlängst wurde ein Interview als Anzeige (!) in einer irrelevanten Zeitung geschaltet, die auch zum Dunstkreis der Startupszene gehört.  

 

Hieß es in den letzten Jahren nicht mantramäßig, es wäre kein Geld da? Und als wäre ein Selbstinterview nicht ob der herthahistorischen Vorbelastung (Preetz Selbstinterview!) peinlich genug, hat Hertha ernsthaft dafür Geld ausgegeben? Selbst wenn es eine Gegenleistung dafür gab, ist das schon etwas, was erklärungsbedürftig ist. Hätte man nicht so viel Angst vor der Antwort im „Keutersprech“, würden sicher einige mal neugierig nachfragen.

 

Nachgefragt haben beim letzten Heimspiel ja die Ultras, die angesichts der wirklich besorgniserregenden Entwicklung der Zuschauerzahlen per Spruchband nachfragten, wo denn die 226.000 Follower sind. 

Diese Diskussion ist mitnichten beendet, sie fängt erst an. Es liegt einiges im Argen und es nutzt nichts, immer nur zu beteuern, die Fans mitnehmen zu wollen, wenn man dann so vorgeht, wie man es tut.

 

Opas Winterpausenprogramm

Neben Gedanken zu Grundsätzlichem und den o.g. Verwerfungen stand im Winter natürlich auch bei Opa Alternativprogramm auf der Tagesordnung. Die beinahe flächendeckend wegen Unbespielbarkeit der Plätze abgesagten Amateurfußballspiele gaben wenig her, doch da gibt’s ja noch andere Möglichkeiten.

 

Zum Beispiel Wasserball. Und da stand ein richtiger Kracher in der Schöneberger Schwimmhalle an. Champions League Wasserfreunde Spandau gegen Olympiacos. Da trafen nicht nur zwei Spitzenteams in einem durchaus rasanten Spiel aufeinander, auch auf den Zuschauerrängen war einiges los. Während auf der Heimseite „typisches“ Nichtsfußballpublikum mit Trommeln und Klatschpappen für Stimmung sorgte, waren auf der griechischen Seite Fans damit beschäftigt, in Ultramanier ihr Team mit Dauergesängen und nacktem Oberkörper anzufeuern, Zaunfahnen und Trommel inclusive. Auf der Heimseite auffällig viele Fans im Trikot der Reinickendorfer Füchse. Wer im Trikot des lokalen Handballplatzhirsches erschien, erhielt einen rabattierten Eintritt. Eine Idee vielleicht auch für Hertha?

 

Wasserball ist ansonsten eine ziemlich schnelle und beeindruckende Sportart. Und brutal. Was da geklammert, unter Wasser gedrückt, getreten und gehalten wird, ist wirklich atemberaubend.

FOTO Wasserball

 

Und dann gibt’s ja noch das eine oder andere Hallenfußballturnier, z.B. der Hussitencup mit dem Barnim Masters in Bernau. Wenn auch weit draußen, lohnt sich der Weg in den Berliner Vorort durchaus, den man von Gesundbrunnen innerhalb weniger Minuten mit dem Regio erreicht. Vom Bahnhof muss man zwar eine Viertelstunde laufen, aber diese Strapazen lohnen sich. Neben durchaus packenden Spielen auf herthablauem (!) Kunstrasen...

FOTO Panorama Halle

 

...gibt es vor ausverkauftem Haus...

FOTO Panorama Zuschauer

 

...auch noch eine Menge „Entertainmentprogramm“ drumherum geboten...

FOTO Lichtdom

 

...was für eine „regionale Veranstaltung“ durchaus sehenswert ist. Ausgelassene Volksfestatmosphäre inclusive kleiner Schlägerei oder Kinderbespaßung durch Herthinho und Ritter Keule inclusive.

 

Und dann stand ja noch das Sixdays an, wo Opa ja schon letztes Jahr viel Spaß hatte. Beeindruckende Kulisse...  

FOTO Panorama

 

...packende Rennen...

FOTO Rennen

 

...Fahrer zum Anfassen und ein buntes Bühnenprogramm rundet das Angebot ab. Opa kommt sicher nächstes Jahr wieder hin.

 

Winterzeit ist ja auch immer Feierzeit. Nicht nur Opa feierte mal wieder Geburtstag, auch ein im Exil lebender Herthaner war mit einem runden Geburtstag dran und feierte seinen 50. zu dessen Anlass Opa ihm ein T-Shirt...

FOTO T-Shirt

 

…und ein Banner

FOTO Banner

 

...anfertigte. Wer im Exil lebt und Interesse hat, Opa kann noch T-Shirts liefern. ;)

 

Und dann stand da noch eine Veranstaltung an, die den Abschluss der auswärtsfahrfreien Zeit markieren sollte. Der Super Bowl. Opa hat erst in den letzten Jahren Gefallen an den Sportarten mit dem Ei gefunden. Und ja, American Football ist sehr speziell. Geschlossenes System ohne Auf- und Abstiege, sehr kommerziell, Draftsystem und Salary Cap, da wird auch schon mal ein Team von einer in eine andere Stadt verpflanzt (demnächst bei Hertha ja auch denkbar?), aber der Superbowl toppt alles. Schön, wenn sich dann ein paar Verrückte und Begeisterte finden, die sich das gemeinsam antun. In der Nacht von Sonntag auf Montag fanden sich etwas mehr als ein Dutzend aus Opas Bekanntenkreis in einer Kneipe ein und schauten bei einem Berg Chicken Wings, Coleslaw, Meatloaf, Maccharonisalad, Popcorn und anderen amerikanischen Leckereien dem Spektakel zu. Die gigantische Halbzeitshow wurde noch übertroffen von der atemberaubenden Aufholjagd des als Favoriten ins Spiel gegangenen Teams, welches im 3. Viertel eigentlich schon aussichtslos hinten lag, mit einer furiosen Leistung die Verlängerung erzwang und dann in der Verlängerung den Sieg klarmachte. Müde, aber glücklich dabei gewesen zu sein. Wer nächstes Jahr dabei sein will, kann sich schon mal einen Knoten ins Smartphone machen, am 4.2.2018 steigt der nächste Superbowl.

 

So, aber nun genug des Vorgeplänkels, jetzt wird’s sudelig.

 

Reiseplanung

Opa hatte aus einem ganzen Blumenstrauß von Gründen nur übersichtlich viel Lust aufs Auswärtsfahren, müde, kalt, Geld ist am Jahresanfang wegen diverser anstehender Zahlungen knapp und das, was Hertha derzeit an Fußball anbietet, macht nun auch keine Werbung für den Besuch im Stadion. Da traf es sich gut, dass jemand nach einer Karte suchte. Schnell war man sich einig, kurz vor Übergabe ließ derjenige aber den Deal platzen. Bei so etwas schwillt Opa der Kamm. Wer sagt, er nimmt die Karte, kann ja freundlich nachfragen, ob man sich ggf. nach Alternativen umsehen kann, aber einfach so, kackedreist „ach, nehme ich doch nicht“ sorgt dafür, dass derjenige auf Opas schwarzer Liste landet. Keine Karten mehr, keine Geschäfte mehr. Dass derjenige irrsinnigerweise dann noch Admin einer Ticketbörse ist, gibt dem Ganzen einen noch faderen Beigeschmack. So geht man nicht miteinander um. Klar, kann mal was dazwischen kommen, aber wenn man sagt, man nimmt die Karte, ist es das Problem des Abnehmenden, wenn ihm was dazwischenkommt. Und derjenige braucht auch in nächster Zeit nicht freundlich angeschissen kommen oder salbungsvoll-freundliche Worte von Opa erwarten.

 

Was also nun? Da traf es sich ganz gut, dass ein Bekannter von Opa sagte, er habe noch Busplätze frei. Ein OFC, ein klassischer „Kutten-Fanclub“, praktischerweise benannt nach der Kneipe, in der man sich trifft und noch noch praktischererweise bei Opa um die Ecke liegt, dazu zumindest eine humane Abfahrtzeit machten die Offerte immer attraktiver. Opa schlief zwei Nächte drüber, dann sagte er zu. Mit dem Bus in die verbotene Stadt.

 

Reisevorbereitungen

Opa achtet seit November ein bißchen auf seine Ernährung, treibt regelmäßig Sport und verzichtet unter der Woche auf Alkohol. Mit dem Ergebnis, dass er rund 9 kg in zweieinhalb Monaten abgenommen hat. Wer nun glaubt, dass Opa nun puritanischer Anhänger der Prohibition ist, der irrt allerdings gewaltig. Auswärts muss und wird auch zukünftig „der Boden kleben“.

Also kaufte Opa im Angebot des lokalen Supermarkts eine Flasche Rum, dazu wurden ein paar Stullen liebevoll mit einem Salatblatt (derzeit beinahe ein Luxusgut) und restlichem Hackbraten im Schinkenmantel mit Ei belegt und noch liebevoller in Butterbrotpapier eingeschlagen. Das war's neben einer Tüte Erdnussflips dann auch schon an Marschverpflegung. Dazu noch ein Becherchen, Opas Powerbanks und eine Auswahl an Aufklebern, die bei Interessse hier erworben werden können.  

 

Anreise

Zu Fuß ging es Richtung S Bahnhof Sonnenallee. Opa fiel beim Gang durch den von der Morgensonne beleuchteten Kiez auf, wie sehr sich dieser verändert hatte. Und wie vieles aber dennoch gleich geblieben war. Eine reichliche Auswahl an Berliner Eckkneipen teilt sich den Kiez mit „Start Up Läden“. Gleichzeitig zeigt dieses Nebeneinander, wie albern es ist, wenn eine Eckkneipe mitsamt briketthustendem Kneipier einen auf hippen Start-Up macht. Glaubwürdig ist das jedenfalls nicht. Es schadet sicher nichts, ein paar neue Getränke auf die Karte zu nehmen, aber die Grenze zwischen notwendiger Erneuerung und unauthentischer Anbiederei ist dünn. Hier, im ehemaligen „Assi“- und Arbeiterbezirk Neukölln gibt es jede Menge Herthaner. Flaggen an vielen Balkons, an Spieltagen Flaggen an den Kneipen. Aber ins Stadion wollen viele nicht mehr. Zumindest nicht mehr regelmäßig. Zu unbequem, zu schlechtes Angebot, zu teuer und insgesamt scheint der Verein seit der neuen Kampagne noch weiter weg von der Basis als eh schon davor. Aber es wird kein Spiel verpasst und mitgefiebert, indem man zur Not den Fernseher oder die Leinwand anschreit.

 

So auch in der Kneipe des Fanclubs, bei dem Opa mitfuhr. Eine liebevolle Bedienung mit rauchiger Stimme umsorgt sich fürs leibliche Wohl und niemand guckt komisch, wenn man ein Frühstücksbier bestellt. Opa fühlte sich gleich heimisch. Es gab „'ne Molle“, natürlich im Herthaglas und ein liebevoll belegtes Hackepeterbrötchen.

FOTO Frühstück

 

Opas Blick schweifte in die Runde. Die meisten kannte Opa von ihren Besuchen im Olympiastadion. Ja, ein „Kuttenfanclub“, nichts mit der „aktiven Szene“ am Hut. Man kleidet sich überwiegend im Fanshop ein, man ist bekennender Herthaner und man meckert, wie der Berliner halt eben so meckert. Und geht dann doch immer wieder zur alten Dame. Aus gewohnheit, aus Liebe, aus Tradition. Wenn der Verein diese Klientel verliert, dann sollten die Verantwortlichen flugs neue Fans in petto haben, die dieses Vakuum ersetzen.

 

Der Tresen in diesem Kleinod ist im Herthalook „verziert“. „Die Gäste wünschen das so“, sagt die sympathische Bedienung mit der rauchigen Stimme, während sie Opas zweites Frühstücksbier anzapft. Zwischenzeitlich war auch Opas Kumpel eingetroffen, der sich kurzentschlossen mit zur Reisegruppe meldete. Gluckgluckgluck, noch ein Biss ins Hackepeterbrötchen, dann die Nachricht, dass aufgrund einer Signalstörung Mitfahrer in der Ringbahn festsitzen. „Na, dann können wir ja noch eins“, mit einem Nicken verstand die Bedienung wortlos, was das Begehr war und schwuppdiwupp standen zwei neue Pils vor einem. Huiuiui, das ging ja gut los :D

 

Draußen fuhr ein Reisebus vor. Polnisches Kennzeichen, deutscher Bus. Kein ungewöhnliches Bild heutzutage. Der Vorsitzende des Fanclubs schwärmt vom polnischen Busunternehmen, mit dem man schon viele male gefahren war. Sauber, freundlich, zuverlässig, preiswert und – ganz wichtig – keine Probleme mit Fußballfans. Die beiden Busfahrer Pjotr und Lukasz, sauber frisiert und mit Krawatte angetreten, als gelte es Staatsgäste zu befördern, freuten sich, dass Opa ein paar Brocken polnisch zusammenkratzte, um sie zu begrüßen. Das Eis war schnell gebrochen.

 

Mit ein wenig Verspätung ging es los. Im nur zu 2/3 ausgelasteten Bus hatte jeder genug Platz, im Hinterbus war wie traditionell üblich die Partyfraktion zu Gange, die Fenster waren behangen mit Fahnen, das war mal etwas ganz anderes als mit der „Szene“ zu fahren, die ja eine eher diskretere Anreise bevorzugt. „Janz jemütlich“ ist aber auch mal nett.

 

Busreisen sind ja normalerweise nicht so Opas Ding, aber im Fall dieser Fahrt passte das super, weil durch das Abendspiel die Rückfahrtgelegenheit mit dem Zug am gleichen Tag nur sehr vage war. Nein, das passte alles. Für 35 € nach GE und zurück, direkt von der Haustür aus, da fährt Opa sicher nochmal mit.

 

Und an Bord wirklich freundliche Herthaner, die alle einen Schwank erzählen konnten. Da war ein Mitfahrer, der in der DDR groß wurde und sich da für sein Herthafandasein rechtfertigen musste. Da war ein anderer, der gerade kürzlich den Krebs besiegt hatte. Opa hätte die alle knuddeln können, so nett wie die waren. Zur guten Stimmung trug auch das Freibier bei, was der Vorsitzende ausgab, wobei das 5 l Partyfässchen schneller leer war als man gucken konnte. Aber Pjotr und Lukasz hatten vorgesorgt:

FOTO Vorräte

 

Bei den Pausen gab es einiges zu bewundern. In Sachen Streetart ist Hertha von Jahr zu Jahr präsenter. Wo früher Fans anderer Vereine sehr präsent waren, ist mittlerweile immer mehr von Hertha zu sehen, sei es Graffiti...

FOTO Graffiticollage

 

...oder sei es Präsenz durch schiere Größe:

FOTO Rastplatz bitte sauber halten

 

In jedem Fall sportlich, was einige auf sich nehmen, um ganz oben zu kleben, Räuberleiter-Mülltonnen-Parcouring ;)

FOTO Räuberleiter-Mülltonne

 

Gut gelaunt und ausgeruht tingelten wir Richtung Gelsenkirchen, bei Hannover machte Opa mal kurz die Äuglein zu, die Woche vor der Fahrt war wohl doch etwas anstrengender, als er sich eingestehen wollte.

 

In Gelsenkirchen fuhren wir zu unserer Überraschung unbehelligt von den Behelmten, die sonst ja Fanbusse bereits von der Autobahn Richtung Busparkplatz eskortieren, in die Stadt, Ein Mitreisender wollte einer dort lebenden Verwandten zum Geburtstag gratulieren. Also der ganze Bus raus, ein ordentliches HaHoHe und Nur nach Hause angestimmt und es in der verbotenen Stadt scheppern lassen.  

FOTO Ständchen

 

Im Anschluss ging es schnurstracks weiter Richtung Turnhalle. Auf dem Busparkplatz waren wir mit die letzten, die anderen Busse waren wohl etwas früher losgefahren. Beäugt von weitgehend entspannten Behelmten pellte sich unsere Besatzung aus dem Bus. Ein Mitfahrer verspürte den Drang, seine Notdurft zu verrichten und wählte seinen Baum taktisch etwas unklug, denn in dieser Blickrichtung waren keine 10 m gefühlt 20 Wannen geparkt und so kam es, wie es beinahe kommen musste. Türen auf, die machten „Absitzen“ und da er der Aufforderung, das sein zu lassen nicht nachkam und wohl noch einen flapsigen Spruch hinterherschob, gab's „Papierkram“. Personalienfeststellung wegen einer Ordnungswidrigkeit? So entstehen Überstunden. Naja, das übliche „Machtspiel“. Auswärtsfahrer kennen sinnlose Rituale wie dieses.

 

Vom Busparkplatz in Gelsenkirchen läuft man noch eine ganze Ecke Richtung Turnhalle. Um Fantrennung bemüht man sich wenig. Es rennen zwar genug Behelmte mit Panzerungen herum, als wollten sie ins Eishockeytor, aber die Fanströme belässt man weitgehend unbeeinflusst. Und dann steht sie da, in voller „Pracht“ vor einem:  

FOTO Stadion

 

Wenn nochmal jemand sagt, so ein „eigenes Stadion“ wäre auch für Hertha super, sei ihm folgender kleiner Faktencheck ans Herz gelegt: Der Schlacke-Konzern ist laut Konzernbericht nur zu 40,7 % an der Stadiongesellschaft “FC Schalke 04-Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Immobilienverwaltungs-KG” beteiligt, der Rest gehört der Gesellschaft für Energie und Wirtschaft, die wiederum den Stadtwerken Gelsenirchen gehören. Haupteigentümer ist also die Stadt Gelsenkirchen. Und der FC Schalke zahlt wie jeder andere Nutzer auch Miete an die Eigentümer-Gesellschaft. So wie fast alle Bundesligisten. Die einzigen Erstligisten, denen das Stadion tatsächlich selbst gehört sind die Bayern, Gladbach, der HSV und Dortmund. Beim Rest gehört es meist der Stadt, einem Mäzen (z.B. Augsburg oder Hoppelheim) oder es gibt eine Public Private Partnership (z.B. Bremen oder Schlacke). Das soll aufzeigen, wie ambitioniert so ein Neubauprojekt ohne politische Unterstützung ist.

 

Im Stadion

Der Einlass erfolgte äußerst pingelig, doppeltes Abtasten, kleinliche Auslegung dessen, was man mitnehmen darf, Opa hatte sicherheitshalber eh alles überflüssige im Bus gelassen. Über eine Brücke geht’s nach dem Einlass in den hermetisch abgetrennten Gästebereich. Nun mag man so viel über die „Turnhalle“ mit dem geschlossenen Dach spotten, im Winter geht es durchaus „kommod“ zu. Kein eisiger Wind, die vielen tausend Zuschauer heizen mit ihrer Körperwärme das Rund, dafür ist es zugegebenermaßen etwas „miefig“. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile.  

FOTO Arenamief

 

Wo wir gerade bei Vor- und Nachteilen sind. Der Unsinn mit der Bezahlkarte ist in Gelsenkirchen leider immer noch auch für Gästefans zwingend. Dafür geht der Erwerb und die Rückgabe tatsächlich fix und das eingesetzte Personal ist ausnehmend freundlich. So eine der Bedienungen am Getränkeschalter, der es als bekennender Dortmund Fan sichtlich unangenehm ist, einen Pulli mit dem S04 Logo anzuziehen. Opa kennt in Dortmund dafür einen Fan von Schlacke, der dort in schwarzgelben Klamotten arbeitet. Vielleicht können die beiden ja tauschen?

 

Ansonsten das übliche Stadionangebot, Bier, Bratwurst, Brezel und „5-Minuten-Terrine“. Im Zeitalter, wo Tütensuppen als Pausenbrot gegessen werden, darf einen nichts mehr wundern. Was rein muss, muss auch wieder raus. Zeit für eine Toiletteninspektion. Alles ziemlich sauber, eine freundliche Klofrau beseitigt die Hinterlassenschaften, es geht insgesamt für Stadionverhältnisse sauber zu. Ob das, was ein Herthaner hinterlassen hat...

FOTO Toilette

 

...daran gelegen hat, dass das Spiel von hertha so schlecht war, entzieht sich Opas Kenntnis. Verdenken könnte man es ihm nicht. Grauenhaft. Einfach grauenhaft. Freistoß an der Mittellinie zurück zum eigenen Torwart. Ein Sinnbild der Ratlosigkeit. Jedenfalls keine Einladung, ins Stadion zu gehen. Und so ging man gegen durchaus ordentlich aufgelegte Schlacker mit 2:0 unter. Schnell den Mantel des Schweigens drüber. Den letzten Schluck Stadionbier reingewürgt, die Bezahlkarte umgetauscht und zurück zum Bus.

 

Rückfahrt

Puh, das Spiel schlug ordentlich auf die Stimmung. Jedenfalls wollte keine Partystimmung aufkommen. Man erträgt es, Herthafan zu sein. Wie man mit solchem Antifußball neue Fans gewinnen will, ist Opa aber ein Rätsel, da wird auch keine noch so freche Twitterkampagne oder Snapchatgedöns etwas dran ändern. Naja, wenigstens das Bier war kalt, wobei den ersten schon die Augen zufielen. Auch Opa war nach Nickerchen und als er gerade weggedöst war, hörte er ein Geräusch, welches Gefahr signalisierte. Opas Sinne waren aufs äußerste gespannt. Und er sollte Recht behalten. Plötzlich ein stechender Geruch in der Nase. Da hatten es doch zwei Mitfahrer wirklich gewagt, eine Packung Fertigbuletten im Bus aufzureißen. Boah, chemische Waffen sind ein Witz gegen das Zeug, selbst ein ordentlicher Bierschiss ist erträglicher als dieser als Boulette getarnte Schlachtabfall. Bitte, liebe Kinder, nicht nachmachen!

 

FOTO ABC Alarm

 

Nach einer Lüftungspause ging es weiter. Zäh zog sich dir Rückfahrt hin. Eindösen, aufwachen, eindösen, aufwachen und versuchen, nicht dem Gespräch derer zu lauschen, die sich laut und angeregt über Anekdoten ihres Lebens austauschten und sich dafür einen Rüffel von Opa einfingen, doch endlich leiser zu sein. Opa hat Euch trotzdem gern ;) Als um kurz nach vier Uhr früh Berlin Neukölln erreicht war, war Opa froh, endlich daheim zu sein und kurz danach im eigenen Bett zu liegen.

 

Es gibt Tage, an denen sich Opa fragt, warum er sich das antut. Das war so einer. Auch eine gewisse Tradition.