Opas Reisetagebuch #77 – 11.8.2018 – Eichstätt – Looft doch!

Prolog

Opa hat lange geschwiegen, obwohl er durchaus auswärts gefahren ist. Zum einen war der Reisedrang eingeschränkt aufgrund der beruflichen Veränderungen, die Opa regelmäßig mehrere Tage unterwegs sein lassen, wo man froh ist, auch mal daheim bleiben zu können. Zum anderen war nicht nur ein wenig die „Luft raus“, sondern die eine oder andere Auswärtsfahrt auch eingebettet in eine von Opas Geschäftsreisen, wo es dann auf dem Weg weit weniger „sudelig“ zugeht, wie es Opas Leser gewöhnt sind.

 

Es ist viel passiert seit dem letzten Tagebuch. Hertha hat den erfolgreichsten Trainer seit über einem Jahrzehnt vor die Tür gesetzt, eine Entscheidung, die Opa erzürnt hat, denn lieber hätte Opa noch ein paar Jahre Dardaische „Hintenrumscheiße“ im Tabellenniemandsland ertragen als mit Investorenmillionen nach den Sternen zu greifen. Unter Dardai debütierten regelmäßig Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, Dardai baute Perspektivspieler ein und einige von diesen nutzten die Gelegenheit und brachten uns viele Millionen, die den Verein nach und nach sich organisch entwickeln ließen.

 

Andererseits war nach dem Ausstieg von KKR die finanzielle Lage wohl mal wieder so angespannt, dass man herbe Einschnitte hätte vornehmen müssen und ohne Teilhabe an den Futtertrögen der ersten Liga würde man mit dieser Schuldenlast wohl nicht überleben können.

 

Und Geduld ist im Profifußball wohl ohnehin eher ein rares Gut. Eine Sportart, die von Jahr zu Jahr immer mehr zur Show wird und zunehmend entsprechendes Publikum anzieht. Opa denkt schön längere Zeit über diesen Punkt nach und wie er sich dazu verhalten soll. Zuletzt flogen die Millionen in schwindelerregenden Höhen hin und her, über hundert Millionen flossen von einem Investor, Hertha kaufte in für Vereinsverhältnisse Rekordhöhe einen Spieler und irgendwie ist dieses Karussel schwindelerregend, aber Opa schafft es nicht auszusteigen. Noch nicht?

 

Opa dachte auch bei der Beerdigung von Herthanern nach, die unterschiedlicher nicht hätte sein können. Einerseits trug er mit rund 50 anderen Herthanern die Legende Pepe Mager zu Grabe, der Opa immer Inspiration war. Nicht nur in Sachen Fandasein, Pöbeln und Merchandising, sondern auch, weil dieser den Ausstieg aus dem Karussel irgendwann gefunden hatte. Man mag dazu stehen, wie man will, aber Haltung hatte Pepe. Umso bemerkenswerter, dass am Ende nicht nur ein Armenbegräbnis blieb, sondern sich unter der Trauergemeinde auch kaum jemand aus der heute aktiven Fanszene befand, die sich doch sonst immer so auf Tradition beruft.

 

Es mag gute Gründe geben, einer Beerdigung fernzubleiben und auch Opa hätte es beinahe nicht geschafft, denn der Flieger, der Opa von seiner Geschäftsreise zurücktransportierte, landete zwar pünktlich um 11:35 Uhr in Tegel, aber es dauerte fast eine Viertelstunde, die Treppe ans Flugzeug zu stellen und dann musste Opa noch ans andere Ende des Flughafens, um sein dort abgestelltes Auto zu holen. Ganz schön knapp, wenn um halb eins die Kirchenglocke in Berlin-Mitte läutet, aber Opa schaffte es.

 

Auch ein anderer Herthaner wurde zu Grabe getragen. Ein Mitglied von Szene 98 starb überraschend im Urlaub und es war erstaunlich, dass die ins Leben gerufene Spendenaktion weit mehr als ursprünglich geplant einbrachte. Ein wichtiges Signal, wie man zusammenstehen kann, immerhin 12.500 € kamen zusammen, Hertha spendete 1.000 €, auch Opa war mit einem Hunni dabei, denn er kannte den Verstorbenen zwar nur oberflächlich, aber der war ihm als ein so herzensguter Mensch in Erinnerung geblieben, dass ihm das wirklich nah ging. Genau wie der immer wieder bei solchen Gelegenheiten aufkommende Gedanke, warum es immer des Todes eines Herthaners bedarf, um über Gräben hinweg zusammenzustehen.

 

Ansonsten hat Opa die lange Zeit seit dem letzten Tagebuch genutzt und weiter im Garten gewerkelt. Die Heizung läuft seit dem Winter, eine neue Terasse wurde zum Frühjahr gebaut, die Fassade zum größten Teil verputzt, zum Sommer gönnte sich Opa eine Kühle spendende Klimaanlage und genießt selbstangebaute Erdbeeren, Brombeeren, Zucchini und andere Leckereien. Und auch wenn die eine oder andere Ecke noch nicht fertig ist, genießt Opa jede Sekunde, die er in seinem kleinen Paradies verbringen kann.

 

Aber wie es mit Paradiesen so ist, wird man bisweilen daraus vertrieben. Gern wäre Opa zum Beispiel ins Trainingslager gefahren, ein Blick auf die Karte ließ ihm aber die Lust darauf vergehen, wenn Hertha sich kurz vor die ungarische Grenze verzieht, zumal ja auch noch Pepes Beerdigung in diesem Zeitraum anstand.

 

Auswärtsfahrten gab’s auch, aber wie eingangs beschrieben (zumindest bislang) ohne Tagebuch. Im Laufe der Sommerpause fing es bei Opa aber wie jedes Jahr an zu jucken und nachdem der Aufstieg der Köpenicker feststand, stand für Opa auch fest, dass er sein Auswärts-Abo verlängert.

 

Als Opa im Sommer im Garten mit Freunden zusammensaß und von den Schönheiten des Fußballfandaseins schwärmte, zu denen unbestreitbar auch das Herauspöbeln von Alltagsfrust gehört, wurde eine Tischnachbarin hellhörig. Auch sie habe bisweilen das Bedürfnis, mal ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, als Kinderbuchillustratorin sei das aber kaum möglich. Opa schlug vor, mal eine Zeichnung für Opas Kollektion zu machen und ein paar Wochen später war „Pissie“ fertig, wie wir die Zeichnung im Rausch von Opas selbstgemachtem Eierlikör nannten. 

FOTO Pissie

 

Wer „Pissie“ erwerben will, kann das hier tun. Und da es immer wieder Irritationen gibt, wie das mit den Aufklebern so läuft: Die richtig guten und einzig wahren Aufkleber für richtige Herthafans gibt’s nur im Stadion am Fanwagen. Wer so richtig hässliche, schlechte, peinliche, schludrige und sich mit den falschen Themen beschäftigenden will, kommt zu Opa.

 

Reisevorbereitungen

Als feststand, dass Hertha beim VfB Eichstätt spielt, quartierte er sich bei seinem Kumpel in der Nähe von München ein, ein Exilherthaner, bei dem Opa meistens übernachtet, wenn er in München oder drumherum Termine hat. Und alle haben was davon, Opa bekocht seinen Gestgeber und dessen Kinder und Opa muss nicht ins Hotel, was bei mehr als 50 geschäftlich bedingten Übernachtungen pro Jahr ohnehin kein Vergnügen ist. Dass das Spiel nach Ingoolstadt verlegt wurde, tat der Planung keinen Abbruch, vom Wohnort von Opas Gastgeber machte das kaum einen Unterschied.

 

Fürs leibliche Wohl fiel ein ordentliches Stück Rinderfilet in Opas Einkaufswagen, mit 1,8 kg kommt man zu viert sicher über 2 Tage. Opa hatte schon mal schlechtere Zeiten und ist ebenso in Demut dankbar, dass es ihm seit dem letzten Jobwechsel gut geht wie er genauso gut weiß, das Leben zu genießen.

 

Anreise

Am Samstag vorm Spiel schmiss sich Opa in sein Auto und düste nach Bayern. Dort angekommen, erwartete ihn sein Gastgeber mit einem eiskalten Bier aus dem nahegelegenen Kloster Scheyern, wo Opa auch schon mal im Klosterhotel übernachtet hat und wo man morgens um halb sechs von der Klingel geweckt wird, mit der die Mönche zum Gebet gerufen werden.

 

Ansonsten ist das Ilmtal wunderschön gelegen, die Landschaft fürs Voralpenland typisch leicht bergig, die Wiesen saftig, man grüßt sich auf der Straße, Kinder fahren Fahrrad, Graffiti und Streetart kennt man nur aus dem Fernsehen und dennoch sind die Auswirkung der nahegelegenen Großstadt München spürbar und lässt die Gemeinden, die durch die Nachfrage nach Wohnraum im prosperierenden Großraum der bayerischen Landeshauptstadt wachsen, immer neue Flächen entwickeln. Und die Preise explodieren, denn hier auf dem Land zahlt man ohne Anbindung ans Schienennetz Preise wie innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings.

 

Nach Opas Ankunft wurde der Beefer angeschmissen, das Filet sachgerecht bei 800° C angeknuspert, kurz auf Kerntemperatur gezogen und mit Salat und Brot serviert.

 

FOTO Rinderfilet

 

Am Spieltag wechselte Opas Gastgeber seine sonstige „Tracht“ in Form des Trainingsanzugs des örtlichen Fußballvereins, bei dem er sich ums Management und Jugendtraining kümmert, zu Gunsten eines Hertha Trikots, was Opa ihm gebastelt hatte.

FOTO Retrotrikot

 

Rund zweieinhalb Stunden vor Anpfiff setzte sich unsere kleine Reisegruppe in Form von Opas Gastgeber, dessen Sohn und Opa in Bewegung. Opa hatte das Los als Fahrer gezogen, was aber angesichts des zu erwartenden Schicksals, dass es im Stadion vermutlich mal wieder nur alkoholfreies gibt, diesmal nicht ganz so schlimm erschien.

 

Im Stadion

Das Spiel war nach Ingolstadt verlegt worden, was Hertha ein ordentliches Kartenkontingent sicherte, aber was auch eine ziemliche Geisterkulisse erwarten ließ, denn das Fanpotentials des bayerischen Regionalligisten ist übersichtlich. Das ganze Dorf schien aber da gewesen zu sein.

FOTO Ränge

 

Von Seiten der Herthaner war durchaus eine beachtliche Zahl angereist, der Stehplatzblock war brechend voll, der Sitzplatzblock übersichtlich, aber dafür mit viel Prominenz, u.a. war Ete Beer da und machte bereitwillig mit großen wie kleinen Herthanern Selfies und gab sich wie immer sehr, sehr volksnah. 

BILD Selfie

 

Spiel

Dann ging es endlich los, die Mannschaften liefen zu mal wieder viel zu lauter Musikbeschallung ins Stadion ein, im Herthablock gab es eine schöne Choreo, die bei den von Opa gut zu beobachtenden Videografen der bayerischen Behelmten nervöse Bewegungen auslösten und die der Jagdtrieb überkam, um unbedingt ein paar Aufnahmen von Zündlern zu bekommen. Nur, dass eben niemand die Absicht hatte, denen den Gefallen zu tun. Im Gegensatz zu einigen Auswärtsspielen in der Saison zuvor blieb es bei einer feucht-fröhlichen Sudelparty im Block, wozu auch der Spielverlauf beitrug.

 

Unter dem neuen Trainer sah man offensiv die eine oder andere Verbesserung, während man hingegen defensiv gegen einen Regionalligisten arg ins Schwimmen kam. Opa wünscht sich, dass man das in den Griff kriegt, denn ansonsten wird die Saison sehr schnell sehr, sehr ungemütlich, schließlich hatte man für dieses Experiment den erfolgreichsten Herthatrainer der letzten zehn Jahre vor die Tür gesetzt.

 

Aber der Spielverlauf brachte diesmal tatsächlich viel Freude, sogar das lang nicht mehr gehörte Hammerlied wurde nach dem dritten Tor von Hertha angestimmt, aber auch neueres Liedgut wie die Feststellung, dass Herthaner aus Berlin kommen, während andere aus Köpenick kommen. Das Derby wirft seinen Schatten voraus und wird die Stadt elektrisieren, wenn es das nicht schon längst tut. Schließlich hat der ehemalige Stasi-Mitarbeiter und heutige Präsident des Stadtrivalen ja den Klassenkampf ausgerufen, freundlich unterstützt von einem luxemburgischen Immobilieninvestor im Portfolio von Blackrock. Wie war das? Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen?

 

Zu den neuen Liedern gehörte auch ein Cover von Westernhagens „Ich bin wieder hier“ zu Ehren der zurückgekehrten Stadionverbotler. Und auch zu Ehren der zurückkehrenden, denn das Problem der korrupten „Parallelgesellschaft“ DFB mit seinem eigenem „Rechtssystem“ bleibt auch in der neuen Saison bestehen, gerade wurden unsere Karlsruher Freunde für ihre im Anschluss an ein Fußballspiel stattgefundene und von den Ordnungsbehörden durchgenehmigten Veranstaltung für den dort stattgefundenen, wohlgemerkt legalen Einsatz von Pyrotechnik verurteilt. Opa meint: Stark bleiben, Karlsruhe!

 

Der Rest des Spiels ist schnell erzählt, gefühlt durfte jeder mal treffen, sogar der zwischenzeitlich abgeschobene Esswein traf, genau wie es den beinahe obligatorischen Ehrentreffer der Gastgeber gab. Zwischenzeitlich kühlte man sich derweil im Gästebereich mit diversen Bier- und Wasserduschen ab. Und so endete viel zu schnell ein hübsches Auswärtsspiel in Bayern.

 

Opa blieb noch eine Nacht, servierte aus den Resten des Filets ein köstliches Stroganoff und und fuhr am Montag nach Berlin zurück.