Die Hinrunde geht dem Ende entgegen. Zeit einmal auch über den blauweißen Kosmos hinauszuschauen.

Das Spiel gegen Hannover 96 hatte so etwas Nostalgisches für mich. Mit Hannover kam ja einer der Lieblingsgegner meiner Hertha ins Olympiastadion. Immerhin haben wir in 63 Aufeinandertreffen erst 15x gegen die Niedersachsen verloren. Die sagenhafte Kulisse von ca. 29000 Zuschauern vertiefte meine Nostalgiegefühle zusätzlich. Wie früher, dachte ich.

 

Sicherlich kann man jetzt erneut das Totschlagargument bemühen, wenn Hertha besser spielen würde, kommen auch mehr Zuschauer. Das trifft aber nicht den Punkt. Dass eine gutbezahlte Marketingabteilung sich gänzlich um eine falsche Klientel bemüht, habe ich, genau wie die Frage, wie viel Berlin noch in der Mehrheit der in Berlin wohnenden steckt, schon öfter thematisiert. Daher will ich das nicht wieder aufwärmen.

 

Eines aber ist sicher, wenn Hertha nicht den Anspruch hat, der Verein für die Berlinerinnen und Berliner zu sein, also für diejenigen die auch „Berlin leben“, ist der Club austauschbar. Es ist ja kein Hertha-spezifisches Problem, was sich hier in der schönsten Stadt der Welt abzeichnet. Es ist Zeit einmal über den Tellerrand der 1. Liga hinaus einen Blick auf die großen Umwälzungen in Berlin zu werfen. Die Identifikation der hier lebenden mit der Stadt Berlin, ihrer Geschichte und dem wofür Berlin steht bzw. stehen kann, kommt in den letzten Jahren allgemein zu kurz.

 

Berlin, ist zum Eldorado für viele geworden, die ich ehrlich gesagt, hier nicht brauche. Ich meine nicht die Zugezogenen im allgemeinen, die es aus den unterschiedlichsten Gründen in unsere Stadt gezogen hat. Ich meine jene, die diese Stadt ausschließlich für Ihre wirtschaftlichen Interessen nutzen, die sich am Ausverkauf meiner Stadt beteiligen, die das Prinzip vom „Leben und leben lassen“ durch ein ausschließlich „ich zuerst“ ersetzen. Leute die unsere Stadt rein aus der Rendite Sicht betrachten und wenig bis keine Rücksicht auf gewachsene Strukturen legen. Die diese Stadt benutzen.

Sie nutzen das, wofür Berlin steht, für Ihre Verwertungsinteressen aus, wie z.B. die Kreativität, Innovation aber auch die Schlagfertigkeit und den Witz der Berliner.

 

Ist ein Stadtviertel erst einmal angesagt, findet man Jahre später nur noch solche Bewohner in den Wohnungen, die genau wegen der Gebietsprägung durch die vorherigen Bewohner hierher gezogen sind. Die wenig bis normal Verdienenden unter den Alteingesessenen müssen gehen. Schulen, ja sogar Gefängnisse und Gerichtsgebäude werden vom Land verhökert und zu hochwertigen Lofts für Anleger umgebaut. Flächendeckend Mietshäuser zu Eigentumswohnungen gemacht. Den Vermarktern der Innenstadt kann es egal sein, was mit der viel beschworenen Berliner lokalen Identität ist. Die Taschen sind schnell gefüllt und bestenfalls ziehen die Verwerter weiter, und fallen in der nächsten Stadt ein. Zurück bleibt ein Ort, deren Konturen nichts mehr mit dem ursprünglichen Profil zu tun hat.

 

Ein Fußballverein mit Lokalkolorit wirkt dann eher anachronistisch. Diese Entwicklung läuft derzeit in Berlin, ob sie aber auch zum Erlischen des „berlinischen“ führt bleibt abzuwarten. Berlin ist im Umbruch. Natürlich kann ein Stadion das mit seinen knapp 80000 Plätzen, diesen gegenwärtigen Verhältnissen nicht gerecht werden.

 

Verrückterweise sehe ich in der momentanen desolaten Situation bezüglich der Zuschauergunst auch eine Chance. Hertha ist eben wegen des mangelnden Zusammenspiels von Anspruch und Wirklichkeit nicht hip. Hip sind andere. Daher ist der Kelch der oberflächlichen Hipster, die weniger durch Leidensfähigkeit als durch ihren ausgesprochenen Spürsinn für Events auffallen, an uns Herthaner weitestgehend vorbei gegangen. Hertha ist vielen hippen Mitbürgern zu piefig und pomadig. Dieser Klientel ist meine „alte Dame“ nicht kultig genug. Glück gehabt, kann man sagen.

 

An dieser Stelle sei ein Blick in den Südosten Berlins erlaubt. Bei unseren Stadtrivalen scheint genau das, zunehmend für Probleme zu sorgen. Union zieht wegen des oft bemühten „Kultstatus’ genau diese Klientel an. Viele trauern dort mittlerweile der Ursprünglichkeit nach und fühlen sich zunehmend fremd im eigenen Stadion. Das (selbstgeschaffene) Image des Underdogs, der sich gegen alles und alle erwehren muss, wankt. Der Erfolg frisst seine Kinder. Das Geld aus dem Westen lockt. Ein vergrößertes Stadion und ein Erstliga Kader kann man eben nicht mit Bratwurst und Vollbier bezahlen. Was nun?

 

Der angestrebte Aufstieg ist erst einmal in weite Ferne gerückt. Der teuerste Kader der Vereinsgeschichte hinkt hinter den Erwartungen hinterher. Die Stimmung im Stadion ist nicht mehr gaaaanz das Erlebnis, dass noch von den Alten besungen wurde und wird. Aber auch hier kann sich die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit schon sehr bald als heilsam erweisen. Kein Erfolg, keine Hipster. Ich frage mich nur, wohin gehen die in Berlin wohnenden fußballaffinen Eventies dann?

 

Eventuell nutzen sie ja, die guten Verkehrsanbindungen und fahren nach Leipzig. Halten dort 90 Minuten lang die Handys hoch und filmen die ach so tolle Stimmung. Ich werde beim letzten Auswärtsspiel live dabei sein. Meine Hertha, genauer gesagt Michael Preetz hat hier schließlich noch eine Bringschuld zu leisten. Wollte der Lange nicht sportlich auf das Konstrukt reagieren? Mir war so.

Ich freu mich auf meine morgige Fahrt in die Sachsenmetropole. Mit gebürtigen Berlinern, Erfurtern, Schweizern und Badenern, allesamt blauweiß mit Hertha Herzblut, unverstellt und authentisch und somit allesamt echte Berliner.

 

Ha Ho He

 

Euer Knut