Bundesliga - Ingolstadt - 10.9.2016 - Eins, zwei Bullissei...

Prolog und Reiseplanung

Ingolstadt – oder wie die Herthaner aus Süddeutschland es nennen – Ingoldorf – war für Hertha bislang ein lohnenswertes Pflaster, auch wenn die Fahrten dorthin in vielerlei Hinsicht beschwerlich sind. Nicht unbedingt von der Entfernung, sondern weil es nach wie vor keine gescheit ausgebaute ICE Strecke gibt. Dazu Opas „Freunde“ vom USK, der Sondereinheit der bayerischen Bereitschaftsbullissei, bei der ein merkwürdiges Verständnis von Lagebeherrschung zu herrschen scheint. Und entweder ist es brütend heiß oder bitterkalt. Gemäßigte Temperaturen scheint es in Ingolstadt nicht zu geben. Dazu ein Mickey-Mouse-Plastikstadion, ein auf sanften Druck des örtlichen Automobilherstelers zwangsfusionierter und von selbigem aufgepäppelter Plastikclub. Eigentlich gibt’s nichts, was einen reizt, sich auf den Weg dorthin zu begeben. Man könnte so vieles machen in der Zeit. Im Garten die Laube endlich weiterbauen, in die schon der Wein reinrankt. Oder einfach mal die Füße hochlegen, Opa hatte schließlich turbulente Wochen hinter sich.

 

Opa kümmert sich seit ein paar Jahren um seine 85jährige Nachbarin, die zwar noch geistig rege und körperlich verhältnismäßig fit ist, aber einen Kasten Bier oder Mineralwasser brachte Opa bislang gern bei seiner „Hausoma“ vorbei. Rund zwei Wochen vorm Spiel in Ingolstadt lag Opa abends ganz bequem auf dem Sofa und wollte einen ruhigen Abend machen, als es plötzlich Treppenhaus polterte. Opa dachte sich, welches Arschloch denn da Sachen durchs Treppenhaus wirft, als plötzlich herzzerreißende Hilfeschreie zu vernehmen waren. Also eine Hose angezogen und mal nachgesehen. Opas Hausoma saß auf der Treppe, hielt sich schmerzverzerrt den Unterarm, der irgendwie komisch abgewinkelt stand. Oma war die Treppe runtergefallen. Opa rief die Feuerwehr, streichelte das Köpfchen, brachte einen Beutel Eis zum Kühlen und als die Feuerwehr dankenswerterweise schnell kam, übergab er seine Hausoma in gute Hände. Oma gab ihm Schlüssel für ihre Wohnung und bat Opa, sich um ein paar Sachen zu kümmern. Na klar, macht Opa ja gern. Mit Omas Notfalltasche unterm Arm fuhr Opa in die Notaufnahme, wo ein junger Arzt versuchte, den gebrochenen Unterarm zu richten. Leider ohne Erfolg, gegen 2 Uhr früh stand fest, dass Oma operiert werden und gleich da bleiben muss.

 

Opas Nachbarin hat noch eine Nichte als letzte Verwandte, die wohnt aber in Leipzig. Omas Freundinnen sind alle selbst nicht mehr gut zu Fuß, also besuchte Opa seine Hausoma jeden Tag, kümmerte sich um einen Termin mit dem Pflegedienst, verständigte Omas Netzwerk und hoffte, dass sich ein paar mehr Menschen da engagieren. Leider ohne größeren Erfolg. Klar kam der eine oder andere zu Besuch, aber zu einer verlässlichen Regelmäßigkeit wollte sich keiner hinreißen lassen. So wird sich Opa wohl auch weiter um seine Hausoma kümmern müssen, die mittlerweile wieder aus dem Krankenhaus entlassen ist und schon wieder lachen und scherzen kann. Sie sagt z.B., sie hätte sich vorher mit ihrem geliebten Likör einen anballern sollen, besoffen wär ihr das nicht passiert. Nur nüchtern. Ums Gemüt von Opas liebenswerter Hausoma müssen wir uns also keine Sorgen machen. Und ob Opa nun jeden Tag für sich oder noch für Omi mitkocht, ist dann auch egal. In ein paar Wochen ist die Manschette ab und dann geht Opa mit Oma Steak essen, bis dahin gibt’s jeden Tag Löffelgerichte oder „auffe Hand“-Essen, was man nicht schneiden muss. Hühnerfrikassée, Nudelsuppe, Krauttopf, Pasta, vorgeschnittene Pizza - Oma schmeckt´s und Opa hat noch genug Rezeptideen für Eintöpfe aller Art. Und so etwas lässt sich ja auch prima vorkochen, so dass einer Auswärtsfahrt diesbezüglich nichts im Weg stand.

 

Aber nach Ingolstadt? Opa schwankte. Eigentlich wollte er auch nicht. Zumal im September schon die englische Woche ansteht und Opa nach München und von dort aus direkt nach Frankfurt fährt. Andererseits war dieser Trip schon bezahlt und Opa wollte seine Leser auch nicht enttäuschen. Im August waren über 6.000 Besucher auf der Homepage, dazu eine Reichweite von rund 30.000 bei Opas facebook-Beiträgen. Eigentlich müssten die Fleischereien Schlange stehen, um bei Opa „product placement“ für ihr Hackepeter zu machen. Oder Brauereien oder Schnapsbrennereien. Opa wird das mal weiterverfolgen :D

 

Als das Spiel relativ zeitig terminiert war, gab´s schon keine attraktiven Sparpreise bei der Bahn mehr. Also blieb entweder eine Mitfahrgelegenheit in einem Auto, eine Reise in einerm der Fanbusse oder das Fanticket, was die deutsche Bahn auch in dieser Saison anbietet und mit dem man für 79 € ohne Zugbindung hin und zurück fahren kann, wenn man es über die Hotline und nicht im Reisezentrum bucht, dann gilt das sogar an zwei aufeinander folgenden Tagen und man kann sich z.B. nach dem Spiel noch was angucken und über Nacht bleiben. Gut, in Ingolstadt ist das witzlos, aber so grundsätzlich kann sich Opas Leser das ja mal merken. Opa macht keinen Hehl daraus, dass eine Bahnfahrt für ihn erste Wahl darstellt. Man kann sich die Beine vertreten, es geht in der Regel einigermaßen schnell, man kann die Beine ausstrecken und im Bordbistro gibt’s eiskalte Getränke zu relativ moderaten Preisen.

 

Aber Opa schaut schon über den Tellerrand und nach Alternativen, die ihm zahlreich angeboten werden. Für Ingolstadt waren das: Eine Mitfahrt in einem PKW für 45 €, der allerdings von eher „jüngeren“ Fans besetzt war. Ein Busplatz für happige 60 € (der dann wohl ausfiel, kein Wunder bei dem Preis, wohlgemerkt ohne Karte!). Dass ein Bus für 35 fuhr, hatte Opa erst zu spät mitbekommen und es gab für die Zugfahrt noch ein gewichtiges Argument, denn einer, der Opa zum Mitkommen im ICE überreden wollte, hatte damit gelockt, dass sie 10 Liter Bowle haben. Opa ist ja kein Freund von Bowle aus fremden Töpfen, zu gefährlich, gerade bei der Hitze, aber 10 Liter klang so verrückt, dass Opa dabei sein wollte. Und noch etwas sprach für den ICE: Sofern die Klimaanlagen funktionieren, kommt man einigermaßen kühlen Kopfes ans Ziel. Ein Haken hatte die Sache dann aber doch: Es wäre an sich ausreichend gewesen, den ICE um 8:30 Uhr zu nehmen, die Reisegruppe hatte aber Platzreservierungen für den 6:30 Uhr Zug. Gnarz, aber Opa wollte unbedingt ein Foto von der Bowle.

 

Also am Vorabend des Spiels bei der Hotline - nach 22 Minuten Wartezeit - ein Fanticket gebucht und sich den Wecker auf eine Uhrzeit gestellt, zu der Opas Vorfahren Nachbarländer überfallen haben. Wenn man um 4:45 Uhr aufsteht, stellt man sich unweigerlich die Frage, warum man sich das antut. Das ist strapaziös, es gibt bei Hertha obendrein nur selten Anlass zur Hoffnung, ein rassiges Spiel zu sehen, ja nicht mal ein Erfolgserlebnis ist sicher einplanbar. Jeder Herthaner, der auswärts fährt, wird sich diese Frage stellen, wobei Opa ahnt, dass der eine oder andere schon aus reiner Gewohnheit auswärts fährt. Was auch immer das Motiv ist, bleibt dabei! Ja, man könnte so viel anderes erledigen, so viel sinnvolles tun, aber man erlebt halt in den Stunden auf Achse mit mehr oder weniger Gleichgesinnten um ein Vielfaches mehr als im Alltag. Und es gibt Erlebnisse, die es wohl nur auswärts gibt. Daraus entwickelt sich im Laufe der Zeit eine Art „Lifestyle“, der sehr eigen und außenstehenden Personen oft nur schwer bis gar nicht erklärbar ist. Und auch Opa scheitert in verlässlicher Regelmäßigkeit daran, wenn er Menschen, die nicht zum Fußball gehen oder zumindest nie auswärts fahren, die Schönheit des Sudelns versucht nahezubringen. Es scheint ein gewisses Maß an Veranlagung zu brauchen, um sich fürs Auswärtsfahren zu begeistern. Aber wenn es einen erstmal gepackt hat, kommt man nicht mehr so schnell davon weg. Opa jedenfalls kann sich jede Saison aufs Neue motivieren. Trotz regelmäßiger Fragerei, warum er sich das antut.

 

Reisevorbereitung oder umfangreichere Proviantherstellung fiel diesmal aus. Opa fuhr ja im Prinzip allein, Bouletten waren vom Vortag noch ein paar vorhanden, auf umfangreichere Kühlboxschlepperei hatte Opa keine Lust und so wurde halt nur ein kleines Täschchen gepackt. Fressalien, eine Flasche Weinbrand, Opas neuer Mischebecher vom Dieter-Thomas-Kuhn-Konzert, (welches am Vorabend des Freiburgspiels stattfand), ein paar Aufkleber, die Rixdorf-Fahne und ein Schal. Die Karte noch eingesteckt, den Wecker gestellt und Opa war kaum eingeschlafen, als selbiger auch schon klingelte. „Warumtuichmirdasnuranwarumtuichmirdasnuran“ murmelte Opa wie ein grummelndes Mantra vor sich hin, als er sich mit einem gehetzten Blick zur Uhr die Stoppeln aus dem Gesicht kratzte und die Zähnchen schrubbte. Rein in die kurzen Hosen, T-Shirt mit den Meisterjahren  1930/1931 übergestreift und auf den letzten Drücker zum Bus gerannt.  

 

Anreise

An der Bushaltestelle gab´s alles, nur keinen Bus. Ein Blick auf die Fahrplanauskunft verriet, dass der Bus 7 Minuten Verspätung hat. Wohlgemerkt gegen 5:30 Uhr morgens. Das ging ja gut los, aber das war quasi nur das Horsd’œuvre, quasi eine Art „amuse geule“ dessen, was Opa an dem Tag noch erleben sollte. Doch dazu später mehr. Opa hatte glücklicherweise genug Puffer und erreichte den Bahnhof in der Zeit. Via Whatsapp erfuhr Opa die Wagennummer, der Wagenstandsanzeiger (immer noch nicht online abrufbar) half allerdings nur bedingt, denn die Anzeige und Durchsage teilte mit, dass der Zug in umgekehrter Wagenreihung unterwegs war, was bei einem zusammengekoppelten Zug viele Reisende schlicht zu überfordern scheint. Auf jeden Fall amüsant, wenn man mit überseekoffergroßen Gepäckstücken bewaffneten Reisenden zuschaut, wie sie sich gegenseitig zeternd aus dem Weg rempeln, um hektisch nach Einfahrt des Zuges ihren richtigen Wagen zu erreichen, was oft damit endet, dass bei umgekehrter Wagenreihung wieder zurückgerannt wird. Herrlich. Würden uns Außerirdische beobachten, müssten diese die Frage, ob es intelligentes Leben auf unserem Planeten gibt, eindeutig verneinen beim Betrachten dieses Treibens. Meine Fresse, einige Menschen sind so dumm, dass sie die Schweine beißen sollen. Opa stand am Bahnsteig jedenfalls exakt so, dass die Tür zum richtigen Wagen direkt vor seiner Nase zum Stehen kam. Und er konnte rennenden Reisenden, die sich ihren Rollkoffer in die Hacken rammten, immer rechtzeitig ausweichen.

 

 

Nun ja, wir hatten ja reserviert, dachte Opa zumindest. Reisegruppe „Bowle“ hatte wenigstens zwei Tische besetzt, allerdings verrieten die Reservierungszeichen, dass sie nicht alle Plätze reserviert hatten. Aha. Opa fragte neugierig, was da los sei. Na, wir haben aus Kostengründen nur 3 Plätze reserviert, damit wir einen Tisch bekommen. Es kam, wie es kommen musste, denn der Früh-ICE war bumsvoll und natürlich kamen diejenigen, die reserviert hatten und natürlich wollten die sitzen. Dafür war Opa 2 Stunden früher aufgestanden? Opa machte ein Foto von der Bowle fürs Tagebuch...

FOTO Bowle

 

...und verabschiedete sich gen Comfortbereich, denn auf Bowletrinken, Sudeln oder im Ruhewagen andere Reisende mit Musik beschallen (die schon vor Abfahrt im Hauptnahnhof anfingen, sich zu beschweren) war Opa nicht, dann lieber noch ein Mützchen Schlaf.

 

Der letzte Tisch vorm Bistro war von nur einem Mitreisenden besetzt, der sich die Kapuze von vorn übers Gesicht gestülpt hatte und das tat, was Opa auch tun wollte. Schlafen. Vorher noch ein kühles Bier aus dem Bistro gefrühstückt, das Frühstück ist schließlich die wichtigste Mahlzeit des Tages, Kopfhörer in die Ohren und Äuglein zu. Aus den blauweißen Träumen vom Pokalfinale und der Vizemeisterschaft wurde Opa jäh herausgerissen. „Die Fahrkarte!“ herrschte der Schaffner Opa an. Opas Hals schwoll dezent an. „Und außerdem ist das hier Bereich für Comfort Kunden“. Na da hatte sich der Fatzke ja genau den richtigen ausgesucht. Opa popelte statt Ticket erstmal seine silberne Bahncard heraus, die ihn als Comfortkunde kennzeichnet. Der Schaffnix wurde klein mit Hut. „oh, ja, naja, ähm“ stammelte er. Opa fragte: „Was oh, ja, naja, ähm?“ Opa warf despektierlich seine Fahrkarte auf den Tisch, der Schaffnix drückte wortlos den Zangenabdruck drauf und gab sie zurück. Opa pöbelte noch ein „und ein Entschuldigung kommt nicht?“ hinterher, doch der Schaffnix ignorierte Opa. Und Opa war müde.

 

Also wieder zurück in den Traum, wo Opa nach Gewinn des DFB Pokals vom Hermannplatz bis zum Brandenburger Tor sämtliche Außenspiegel abtritt, als er plötzlich wieder geweckt wurde. „Personalwechsel, die Fahrscheine bitte!“ quakte eine Schaffeuse in süßem sächsisch – Opa ist aber bekennender Morgenmuffel und grummelte vermutlich so was wie „Ichwilldochnurschlafenwilldochnurschlafen“ als er der Dame die Fahrkarte reichte. „Sie wissen schon, dass das hier der Comfortbereich ist“, boah ja, Opa fährt nicht zum ersten mal mit der Bahn. Opa war bedient und schickte die Trulla mit einem wenig freundlichen, aber dafür bestimmten „verfatz da!“ weg.

 

Also Frühstück. Nochmal ins Bordbistro, da hatte auch das Personal gewechselt und die etwas üppigere Bistromitarbeiterin versuchte eine Charmeoffensive. „Ein großes Bier vom Fass bitte“ Gut gelaunt pfoff sie Opa die Frage entgegen, ob er das hier trinken wolle oder zum Mitnehmen. Opa sagte, er säße am ersten Tisch einen Wagen weiter und er würde gern aus einem richtigen Glas trinken. Sehr freundlich flüsterte sie Opa ein „aber sagen sie es nicht meinem Chef“ zu und drückte Opa vertrauensvoll das Glas in die Hand. So traumhaft kann es also auch in der Bahn zugehen.

 

Boulettchen, Scheibe Brot, kaltes Pils, angewiderte Blicke von Mitreisenden. Herrlich. Opa fühlte sich gut. Gluckgluckgluckzisch, aaahhh, weg war der halbe Liter. Also wieder zurück ins Bordbistro, wo Opa – mittlerweile etwas wacher – sogleich mit Mitreisenden wegen seines T-Shirts angesprochen wurde. „Was war denn 1930 und 1931?“ Na was wohl? Da war Hertha Deutscher Meister. Die Mitreisenden, offensichtlich leicht angeduselt, antworteten, dass sie gar nicht wussten, dass Hertha schon mal Meister war. Tja, Reisen bildet, entgegnete Opa. Für welchen Verein denn ihr Herz schlüge. Zunächst antworteten sie, sie würden sich nicht für Fußball interessieren, der eine verplapperte sich aber ganz schnell, indem er fragte, ob Opa damals gegen Roter Stern Belgrad dabei war oder in Düsseldrof in der Relegation. Soso, kein Interesse am Fußball, ist klar. Am Ende outete sich der Mitreisende als Fan der Frankfurter Zwietracht. Naja, man kann sich seinen Verein ja irgendwie nicht aussuchen.

 

Opa ging zurück zu seinem Platz und begann mit der „Morgenlage“ - Nachrichtenseiten checken, facebook Timeline anschauen, was gibt’s Neues. Ein weitgehend ereignisarmer Samstagmorgen, nur eines fiel ihm auf: Die Berliner Zeitung machte bei facebook mit folgendem Hinweis auf: „Hey Berlin, heute ist Tag der deutschen Sprache!“ und lässt einen Bären antworten: „Dit is mir schnurz piep ejal“

 

Opa überlegte einen Moment, ob er das Tagebuch aus diesem Anlass komplett auf Berlinisch verfasst. Eine Mundart der deutschen Sprache, die wunderbar kodderschnauzig-liebenswert und herzlich ums Eck gerutscht kommt und für die viele Berliner sich ein wenig schämen, weil man es zu sehr mit Gossensprache assoziiert und – als Ausdruck der Abgrenzung – als „Soziolekt“ diffamiert. Auch Opa hat früher so gedacht, aber je älter er wird und je mehr Sprachräume er bereist hat, in denen die Menschen mit einer beneidenswerten Selbstverständlichkeit zum Teil unverständliche Dialekte sprechen, umso wichtiger wird ihm der Erhalt des Berlinischen. Aber ein ganzes Tagebuch? Diesmal nicht, aber das ist nicht vergessen, versprochen – „Kliffhänga kanna!“!

 

Die ICE Strecke nach Nürnberg ist derzeit immer noch nicht ausgebaut, im Bummeltempo geht es über die Dörfer. Bitterfeld, Naumburg, Lichtenfels, es zieht und zieht sich. Wenn die Strecke erstmal ausgebaut ist, wird es vorbei sein mit der „Eisenbahnromantik“ kurviger Strecken und süßen Landschaften wie aus der Modelleisenbahn. Andererseits macht es dann entgegen aller Beteuerungen von anderen Menschen keinen Sinn, innerdeutsch zu fliegen. Von Innenstadt zu Innenstadt wird man dann von Berlin nach München rund 4 Stunden brauchen, einmal stündlich fährt ein Zug, wenn man einen verpasst, nimmt man den nächsten. Luxus, den kein Flugzeug der Welt bietet. Dazu kommt, dass der BER und der Münchner Flughafen derart weit draußen liegen, dass man locker schon mal eineinhalb Stunden Transfer von der Innenstadt mit einplanen muss. Dazu eine halbe Stunde vorher da sein, eine halbe Stunde aufs Gepäck warten, gefühlt jeweils 20 Minuten vom Gate zum S-Bahnhof, da ist man beim Flieger bei einer ähnlichen Bruttozeit wie bei der um Längen bequemeren Bahn, wo man zwischendurch herumlaufen und die Beine ausstrecken kann. Doch genug Werbung für das Verkehrsmittel Bahn, es gab nämlich an diesem Tag neben umgekehrten Wagenreihungen und pampigen Schaffnern noch weiteren Anlass, sich über selbige aufzuregen.

 

Beim Umstieg in Nürnberg, der normalerweise nahtlos geplant ist, sprich, am Nachbargleis wartet der andere ICE, dann die erste Überraschung. Statt am Nachbargleis wartete der ICE auf einem anderen Gleis. Gut, wenn man mit leichtem Gepäck unterwegs ist. Wäre Opa nicht von einem mitreisenden Herthaner erkannt und aufgehalten worden, hätte er den bereitstehenden ICE bestiegen, doch der Hinweis des Unbekannten, der an dieser Stelle herzlich gegrüßt sein soll, war Gold wert. Wegen eines Oberleitungsschadens musste der Zug nach München nämlich umgeleitet werden und auf der Umleitungsstrecke liegt nicht Ingolstadt. Stattdessen wurden die Herthafans auf einen Regio verwiesen, der fünf Minuten später 6 Gleise weiter fuhr. Toller Roller. Neben Gehetze hieß das: Kein Bordbistro (Opa hatte weder kalte Getränke noch Eis dabei), keine Klimaanlage und zu allem Überfluss handelte es sich um einen RB, der an jeder, wirklich jeder Milchkanne hielt. Statt 11:59 Uhr war die planmäßige Ankunft auf 13:25 Uhr avisiert. 1:26 h Verspätung, tropische Temperaturen und keine kalten Getränke. Passend dazu waren die Getränkeautomaten auf dem Bahnsteig außer Betrieb, in denen Opa verzweifelt versuchte, kurz vor Abfahrt wenigstens noch ein Wasser zu ziehen. So sehr Opa auch eine Lanze für den Verkehrsträger Bahn brechen mag, so sehr verflucht er selbige für solcherlei Schlampigkeiten.

 

Gut, die meisten Herthaner waren dennoch gut drauf, es regierte der Galgenhumor, gepaart mit dezenter bowlebedingter Fröhlichkeit tanzte man zu fröhlicher Musik durchs Oberdeck des gefühlt 40° warmen Regios. Nun ist das Reisen in überhitzten Zügen mit gleichzeitiger Anwesenheit von fröhlichen Fußballfans scheinbar nicht jedermanns Sache. Während die meisten Passagiere amüsiert zusahen, knallten bei anderen die Sicherungen durch. Ein temperamentvoller Familienvater offensichtlich südländischer Herkunft, ungefähr 1,60 groß, kam mit Rasierklingen unter den Armen auf eine Gruppe Herthaner zu und fing zur Gesprächseröffnung gleich mal an zu schubsen. Opa betrachtete kopfschüttelnd das zwangsläufige Treiben, denn fortan wurde der „nette Herr“ daran gehindert, weiter zu schubsen. Alles begleitet vom Gekeife seiner Frau und dem Geheul seiner Kinder, die während der Auseinandersetzung von mitreisenden Herthanern (!) getröstet wurden, während die Frau immer noch keifte, jedoch weniger deeskalierend, sondern eher den Gatten anstachelnd, sich endlich gegen den Pöbel durchzusetzen. Wenn die betroffenen Herthaner nicht so besonnen reagiert hätten, wäre es wohl zum „Zwergewerfen“ gekommen.

 

Am Ende verließ die Familie den Wagen, um kurz darauf den Schaffnix zu schicken, der in breitestem Fränkisch mitteilte, dass die Familie darauf bestünde, Strafanzeige zu erstatten. Ein paar Dörfer weiter würde der Zug zu polizeilichen Ermittlungen anhalten. Herrje. Noch viel schlimmer als ein fahrender Regio ist im Sommer ein haltender Regio. Zwar kommt durch die Lüftungsschlitze in den Scheiben eh kaum Luft, aber wenn man im Bahnhof hält, wird der Regio endgültig zum Brutkasten. Statt dass – wie in solchen Fällen erwartbar – die Bahnbullissei anrückt, kamen zwei normale Streifenhörnchen in noch senffarbener Uniform des Wegs, nahmen weitgehend gelangweilt die Anzeige der immer noch keifenden Familie (die nun wahrheitswidrig behauptete, massiv geschlagen worden zu sein) und die Personalien der Beteiligten Personen auf, versehen mit dem Hinweis, dass sich das wohl im Sande verlaufen würde. Im Ganzen also völlig sinnlos und keine Werbung für niemanden.

 

 

Gefühlt 25 Minuten später verließen wir den Bahnhof in einem halbleerem Regio, denn die meisten Passagiere waren zwischenzeitlich in einen anderen Regio am Nachbargleis umgestiegen. Mit knapp 2 Stunden Verspätung gegenüber der ursprünglichen Planung kamen wir endlich, endlich in Ingolstadt an. Opa hatte aber erstmal keine Lust, sich zwecks Abgabe des Fahrgastrechteformulars in die Schlange am Reisezentrum anzustellen, er wollte eine Tradition seit der ersten Reise nach Ingolstadt fortsetzen. Der Bahnhofskiosk führt nämlich eine durchaus passable Leberkässemmel, die Opa mit süßem Senf aufwertet und von einem hellen bayerischen Bier begleiten lässt.  

FOTO Leberkässemmel

 

Unter normalen Umtänden hätte Opa noch gern zwei, drei der eiskalten Hellen in sich reingeschüttet, er beließ es wegen der Temperaturen aber bei Mineralwasser, was sich noch als äußerst klug erweisen sollte. In der Vorankündigung zum Spiel steht seit Jahren, dass vom Bahnhof keine Shuttlebusse zum Stadion fahren. In der Realität steht da aber immer einer. Insofern ist hertha nicht der einzige Veranstalter mit „unglücklicher Kommunikation“ in solchen Dingen. Ein in der Sonne stehender Bus ist jedoch noch schlimmer als ein in der Sonne stehender Regio. Opa schüttete das Mineralwasser in seinen Körper und hatte das Gefühl, dass exakt so, wie er es reinschüttet, es aus den Poren wieder raus kam. Opa wusste, was er vergessen hatte: Sein Saunatuch. Irgendwann reichte es Opa und er fragte durchaus noch höflich, aber sehr bestimmt die Frau Busfahrerin, dass sie sich aussuchen könne, den Motor mitsamt Klimaanlage anzumachen, wenigstens die Türen zu öffnen oder den Bus mit ausgelösten Türnotöffnungen bewegen zu müssen. Es handelte sich offenbar um eine kluge Frau, denn sie machte sofort die Türen auf. Immerhin.

 

Kurz vor Abfahrt sprangen noch ein paar Herthaner in den Bus. Herthaner Marke „fahre noch nicht so lange auswärts, gebe aber dafür doppelt so viel Gas“. Mit sichtlich rotgeränderten Augen wurde die Vandalismussicherheit der verbauten Einrichtung verprobt und Opa direkt die üblichen Pöbellieder ins (gesund verbliebene) Ohr gebrüllt, bis Opa dann doch mal intervenierte und darum bat, doch wenigstens in eine andere Richtung zu brüllen. Dabei erfuhr Opa, dass es sich um junge Exilherthaner aus Baden handelte. Opas Frage, warum sie nicht in Berlin seien, um den KSC in Köpenick zu unterstützen, konterten sie mit entwaffnender Logik: Sie seien schließlich Herthafans. So einfach kann das manchmal sein.

 

 

Endlich fuhr der Bus los. Übrigens mit Herthanern und Ingolstädter Fans an Bord. Keine Bullissei, kein Ordnungsdienst. Keine Selbstverständlichkeit, vor allem nicht im paranoiden Bayern. Alles blieb heil und friedlich auf der Fahrt zum Stadion, welcher vor mittlerweile 6 Jahren auf dem Gelände der alten, stillgelegten Raffinerie eröffnet wurde. Hertha spielte in der Premierensaison des Stadions schon dort und so kann Opa über die Fortschritte des Geländes Zeugnis ablegen. Vor 6 Jahren standen gegenüber dem Gästeeingang noch die Reste der Raffinerie, Türme, Rohrleitungen, Industriehallen. Das hatte man 2 Jahre später alles abgerissen. Seitdem scheint sich nichts getan zu haben. Es ist wie eh und je ein Stadion im Nichts. Das auch als Warnung an die Stadionneubaubefürworter, die da meinen, dass sich um neue Stadien sofort prosperierendes Leben entwickeln würde, von welchem der Stadionbetreiber profitiert. Das ist schlichtweg falsch. Mainz, Gladbach, Ingolstadt, Regensburg. Stadien im Nichts, in denen außer an den Spieltagen gähnende Leere herrscht. Und weiter herrschen wird.  

PANORAMA FOTO Industriebrache

 

Vor dem Gästeeingang versammelten sich viele bekannte Gesichter rund um die Busse und Neuner, mit denen die Herthaner gekommen waren. Und jede Menge „Bullissei“, die in Bayern traditionell sehr präsent rund um Stadien ist und eine Nulltoleranzpolitik durchzusetzen versucht, was immer wieder Anlass für wie Ursache von Konflikten ist. Bei einem Spiel Ingolstadt gegen Hertha, bei dem es null Rivalität gibt, muss man nicht Bürgerkrieg spielen. Es sei denn, man möchte provozieren. Und genau das scheint man in Ingolstadt gewollt zu haben. Es ist abermals der Besonnenheit der mitgereisten Herthaner zu verdanken, dass nichts passiert ist. Besonders albern waren übrigens die Selbstschutz betreibenden Streifen, die über den quasi leeren Parkplatz an gelangweilten Herthanern vorbei so eine Art Schildkrötentaktik anwandten und wohl selbst enttäuscht waren, dass sich niemand zu Widerstandshandlungen hat hinreißen lassen. Liebe bayerische Innenpolitiker, die ihr so gern den strammen Max spielt: Lasst die Bullisseischüler bitte, bitte woanders üben. Es gibt so schöne Truppenübungsplätze. Oder Wälder. Aber zieht die von den Stadien ab. Die sind ein permanenter Unsicherheitsfaktor.

 

Im Stadion

Wo wir gerade bei der Sicherheit sind: Die Einlasskontrollen erinnern an einen Knastbesuch. Sämtlicher Tascheninhalt muss auf einem Edelstahltisch ausgebreitet werden. Dann wird selbiger genauso durchsucht wie der Einlass begehrende Stadionbesucher. Ein riesiger Zeitaufwand und ziemlich plemplem, weil alle Beteiligten schwerstens genervt sind, der Ordnungsdienst im Übrigen auch. Einer der Supervisor am Einlass entschuldigte sich sogar bei Opa, es täte ihm auch leid, aber es gäbe Anweisungen von – na, von wem – richtig, der „Bullissei“, so zu verfahren. Da kann und darf man schon mal die Frage stellen, was denn der sachliche Grund für diese einmalige Sonderbehandlung sein soll. Gab´s irgendwie Amokläufe von Fußballfans? Oder eine unentdeckte Mordserie? Oder ist Wahlkampf? Was auch immer es ist, es gibt keinen sachlichen Grund, so massiv in einem eh zu kleinen Vorraum solche Truppenstärken aufzufahren, die im Grunde nichts weiter machen, als Fluchtwege zu versperren. Nirgendwo sonst ist das annähernd so albern wie in Ingolstadt.

 

Wo wir gerade bei albern sind: Lieber Eigentümer „Audi Immobilien Verwaltung GmbH“ und lieber Betreiber „FC Ingolstadt 04 Stadionbetreiber GmbH“, bei allem Verständnis, dass man zur Refinanzierung die Cateringrechte verkauft, bei Temperaturen über 30° darf man wenigstens auch mal Wasserpreise senken. 3 € für 0,4 l Wasser (Literpreis 7,50 €!) sind allein schon eine Frechheit, aber was dann im weiteren Verlauf des Spiels stattfand, war dann eine bodenlose Frechheit. Wasser war nämlich offiziell irgendwann ausverkauft. Kurz, nachdem diese Info zu Opa durchgesickert war, schleppte eine Mitarbeiterin der Kioske übrigens eine kalte Kiste Mineralwasser vom Gästebereich in den Heimbereich. Wer immer dafür verantwortlich ist, der gehört in der Saune eingeschlossen und im Grunde müsste man das ganze Stadion vollschxxßen, um ein Zeichen gegen so einen Dreck zu setzen. Irgendwann ist die Schraube schlicht überdreht! Dass es anders und menschlicher geht, zeigen übrigens andere Vereine. In Dortmund zum Beispiel, wird im Gästebereich bei solchen Temperaturen gratis (!) Mineralwasser verteilt – sogar Hertha kriegt das hin. Das Problem in Ingolstadt scheint zu sein, dass man Fans nicht als Menschen zu betrachten scheint, sondern als so eine Art lästiges Vieh, dessen Aufenthalt irgendwie gehandhabt werden muss. Und Opa stellt sich die Frage, wenn man wie Vieh behandelt wird (was obendrein auch noch Eintritt zahlt), ob man sich dann auch durchaus wie Vieh benehmen darf?

 

Doch das sind ja noch nicht alle Unzulänglichkeiten, die vor Ort festzustellen sind. Im Sitzplatzblock befinden sich fiese Stolperfallen, die schon zu schweren Unfällen geführt haben. Letztes Jahr brach sich ein Herthaner die Nase. Trotzdem er den Verein informierte, ist diese Stolperfalle bis heute nicht entschärft.

 

 

Opa hat bei der Medienabteilung des FC Ingolstadt um eine Stellungnahme zu den Themen Wasserversorgung, Stolperfalle und in den Fluchtwegen postierte Polizeiketten gebeten. Bislang sind die Fragen nicht beantwortet worden.  

 

In dem Ärger ging Opas Treffen mit einem Exilherthaner aus Regensburg beinahe unter, der Opa Quartier angeboten hatte. Gern wäre Opa darauf zurückgekommen, aber die Querelen mit der Hausoma machten eine „normale“ Reiseplanung unmöglich. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

 

Opa suchte sich erstmal ein Plätzchen für seine Fahne. Opa ist keiner, der als erstes ins Stadion rennt und überlässt die „prominenten“ Plätze gern denjenigen, die sich das in jahrelanger Reiseaktivität verdient haben, besser zu hängen, außerdem geht Opa traditionell ja eher spät ins Stadion. Dennoch fand er ein hübsches Plätzchen direkt am Mundloch.

FOTO Fahne

 

Unterstützt wurde Opa vom Klebeband von zwei Herthanern aus der Schweiz, die ihre große Fahne im halbleeren Sitzplatzblock präsentierten...

 

 

FOTO Rheintal-Ostschweiz

 

 

...und ihre kleine Fahne in der Hand hielten:

FOTO Hertha Supporters Schweiz

 

Opa erzählten sie stolz, dass sie in Süddeutschland zu allen Auswärtsspielen fahren und so freut sich Opa schon auf ein Wiedersehen mit den sympathischen Jungs in München, Augsburg, Hoppelheim und Freiburg.

 

 

So langsam wurde es Zeit fürs Spiel. Opa suchte sich ein schattiges Plätzchen und schon erklang die an sich ganz fetzige Stadionhymne der Schanzer, die diesmal nicht mehr mit gefühlten 180 dB überm Gästeblock abgespielt wurde. Die Ohren danken es einem. Die Mitmachquote auf der Gegengeraden bei der Stadionhymne ist übrigens „beeindruckend“. Wo in anderen Stadien überall Schals in die Höhe gestreckt werden, hat Opa ganze 3 Schals gezählt und dokumentiert:

FOTO Schalparade

 

Die Mannschaften liefen dennoch ein (die Ingolstädter sollten sich vielleicht mal überlegen, in der Kabine zu bleiben, wenn nicht alle Schals nach oben gehen) und schon bald rollte der Ball. Und wie. Hertha drehte auf, zeigte eine Aggressivität beim Gegenpressing und für den ballführenden Spieler ergaben sich Anspielstationen, das war zumindest in der ersten Viertelstunde ein klasse Spiel, was man so schon lange nicht mehr gesehen hatte. Nach der frühen Führung in der 8. Minute durch Ibisevic versuchte Hertha allerdings schon bald, das Spiel zu verwalten. Etwas, was unser Team nicht kann und so kamen die Ingolstädter immer wieder brenzlig vors Berliner Tor, doch Jarstein parierte alle Bälle. Man hatte beinahe das Gefühl, die Ingolstädter hätten noch eine dritte Halbzeit spielen können und dennoch keinen Ball ins Herthator bekommen. Relativ früh wurde dann gewechselt, 62. Minute Esswein für Weiser. Schnell ist er ja mit seiner „internationalen Schnelligkeit“, aber die Flankengenauigkeit ist nicht unbedingt seins. Dazu wechselte er oft mit Haraguchi die Seiten, der ziemlich ausgepumpt wirkte und so verpuffte der vermeintliche Vorteil der Spritzigkeit. In der 79. Minute kam Schieber für Ibisevic, der diszipliniert und kämpferisch stark gespielt hat und ebenbürtig ersetzt wurde, doch dazu später mehr. 2 Minuten später kam Hegeler. Warum, weiß zwar keiner, aber die Wechselkombi Hegeler und Schieber scheint zu funktionieren. Zumindest vom Ergebnis her. Opa hatte kaum seinen beißenden Spott „Saufen, bis der Schieber trifft“ an Daheimgebliebene gewhatsappt, da klingelte es auch schon. In der 86. Minute machte Schieber den Auswärtssieg klar. Der ganze Block explodierte, laute „Schieber, Schieber“ Rufe drangen durchs Ingolstädter Stadion, aus dem die ersten Heimfans enttäuscht nach Hause strömten, als das Spiel noch lief.

 

„Schieber, Schieber“ hätte man auch ob der Leistung des vermeintlich Unparteiischen rufen können, denn Dr. Drees zeigte sich mal wieder von der bekannten Seite und pfiff relativ merkwürdig, aber glücklicherweise nicht spielentscheidend.

 

Auf den Rängen ging das Ding zudem eindeutig und wenig überraschend zugunsten von Hertha aus. Ein einziges mal war die Heimkurve zu hören, was mit höhnischem „Meck, meck“ quittiert wurde. Das „Sitzschalenultras“-Banner auf der Heimseite scheint wohl Programm zu sein. Die Mitmachquote im Ingolstädter Block ist mit dem Wort „übersichtlich“ noch durchaus wohlwollend beschrieben. Trotz direkter Sonnenbestrahlung und Hitze gab der Berliner Block alles. Abwechslungsreiche Lieder, wenig Hänger, sogar ein neues Lied wurde zum Besten geboten. Alles überwiegend oberkörperfrei und mit ein wenig Wasserschlacht verbunden. Insgesamt und für die Rahmenbedingungen war das durchaus ein starker Auftritt des Berliner Blocks vor 14.100 Zuschauern.

 

 

Als die Mannschaft zum Jubeln kam, sprang Darida über die Bande und klatschte mit zufällig neben Opa stehenden slowakischen Fans ab. Und mit Opa. Und der Stadionfotograf von Hertha Inside war so freundlich, diese Szene im Bild festzuhalten, bei der auch Opas Rixdorf Fahne gut zu sehen ist.  

FOTO HI nachbearbeitet

 

Rückreise

Opa versorgte sich noch bei einem der Berliner Busse mit einem bierähnlichen Gebräu niederländischer Herkunft, aber alles ist besser als die alkoholfreie Plörre im Stadion. Zusammen mit den Exilherthanern aus Augsburg und München, die von Jahr zu Jahr zahlreicher zu werden scheinen, ging es in einem abermals total überhitzten Shuttlebus (den es wie gesagt gar nicht gibt) zurück zum Bahnhof, wo erstmal eiskalte Getränke für Abkühlung sorgten. Opa traf noch einen Geschäftspartner aus Berlin, der zufällig gerade in München war und zum Spiel nach Ingolstadt rübergehüpft ist. Und einen Leser, der direkt in Ingolstadt wohnt und Opa anbot, das nächste mal bei ihm zu übernachten. Opa kommt bestimmt drauf zurück.

 

Erschöpft, aber glücklich verspeiste Opa noch eine Leberkässemmel und genoss das eiskalte halbe Helle, bevor er sich von den süddeutschen Herthanern verabschiedete, die er schon in 10 Tagen beim Spiel in München wiedersieht. Noch schnell ein paar Getränke und eine Semmel für die Rückfahrt gebunkert und los fuhr auch Opas ICE. Diesmal sollte der Umstieg in Kassel-Wilhelmshöhe stattfinden. Mit 6 Minuten Umsteigezeit. Schon in Ingolstadt fuhr der ICE mit 10 Minuten Verspätung ein, die auch beim nächsten Halt in Nürnberg nicht aufgeholt waren. Plötzlich rief einer: Am Nebengleis steht ein ICE nach Berlin. Opa entschied sich, schnell rüberzuwechseln. Also Sachen zusammengerafft und rüber.

 

 

Beim Einstieg traf ihn erstmal der Schlag. Bumswarm war´s. Und leer. Der Waggon, in den Opa gerade eingestiegen war, war ein Geisterwaggon. Die Sitze abgesperrt mit Flatterband. 

Collage FOTO Absperrungen

 

Wegen defekter Klimaanlage durfte der Wagen nicht benutzt werden. Viele Passagiere hatten sich wohl eine Alternative gesucht, denn auch in den verbliebenen Waggons war es ziemlich leer. Opa setzte sich an einen Tisch, wo ein anderer Opa seinen Krückstock abgelegt hatte und ihn zahnlos, aber freundlich mit bestem fränkischen Akzent begrüßte. Auch die Tischnachbarn nebenan waren überaus freundlich, Voigtländer auf dem Weg von Rom in die Heimat. Die mitreisenden Damen mit Louis Vuitton Tütchen, die Herren neidisch auf Opas Biervorräte. Aber lustig waren alle, und während Opa sich fragte, wie sich jemand mit voigtländischem Akzent in Rom wohl verständigte, gratulierte man Opa zum Sieg der Hertha und man wünschte sich eine gute Reise. Das konnten wir auch gebrauchen, denn der ICE hatte (immer noch wegen der Oberleitungsstörung vom Mittag) rund eine Stunde Verspätung, was erklärt, warum der überhaupt noch in Nürnberg stand und warum der eben auch leer war.

 

Opa zischte sich ein Helles, als plötzlich der Bordbistromitarbeiter aus dem Nebenwagen kam, wo übrigens wegen der ausgefallenen Klimaanlage Gratiswasser verteilt wurde. Mit ernster Mimik sagte er mit Blick auf Opas Getränketisch, dass der Konsum mitgebrachter Getränke verboten sei. Opa muss geguckt haben wie ein Auto, lachte dann lautschallend los und der freundliche Bahner auch. Er sagte, ihm sei langweilig, weil der Zug ja quasi leer wäre und er würde sich doch gern unterhalten. Opa versprach, bald ins Bistro zu kommen und ihm Gesellschaft zu leisten.

 

Nachdem vor Leipzig Opas lustige voigtländische Reisetruppe ausgestiegen war, löste Opa sein Versprechen ein und begab sich ins Bordbistro. Bier vom Fass war irgendwie nicht, kam nur noch Schaum, also wurde auf Weißbier gewechselt. In Leipzig stiegen dann reichlich in Berlin beheimatete Fans der Dortmunder ein, aber auch ein Familienvater mit zwei Kindern, die beide mit RB Schals bekleidet waren. Opa konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen und versprach dem Sohn einen Herthaschal, wenn er seinen RB Lappen bestimmungs- wie ordnungsgemäß entsorgt. Der Vater beobachtete Opas Missionierungsversuche amüsiert, mischte sich dann aber ein und sagte, etwas betreten, es täte ihm ja auch leid, er sei Fan von Lok, aber die Kinder wollten nun mal zu RB. Verzweifelt fragte er Opa, was er denn machen solle. Opa gab ihm entschlossen den wertvollen Erziehungstipp, die Kinder halt zu verkloppen. Kurzes Schweigen. Naja, das könne er dann auch nicht. Nun ist Opa auch Vater und natürlich ist verkloppen kein Erziehungsmittel. Und für die Babyklappe waren beide schon zu groß. Ratlosigkeit.

 

Ob es den Fans von Traditionsvereinen nun passt oder nicht, wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese merkwürdige Körperschaft nunmal existiert und von vielen Leipzigern durchaus wohlwollend und begeistert aufgenommen wird. Nach Jahrzehnten der fußballerischen Diaspora gibt’s in Leipzig, immerhin eine der 15 größten deutschen Städte, endlich wieder Bundesliga. Bei der Anhängerschaft scheint es keinerlei Vorbehalte zu geben, die den Fans anderer Vereine wie Brocken im Magen liegen ob der Mauscheleien, die man begangen hat, um an die Lizenz zu kommen. Alle Kontrollinstanzen sind dem Ruf des Geldes erlegen und man hat es möglich gemacht, dass RB im „beschleunigten Verfahren“ und unter Anwendung von „Gestaltungsmißbrauch“ heute da steht, wo man steht. Versagt haben der sächsische Fußballverband, das Finanzamt Leipzig (welches die für die vom DOSB geforderte Gemeinnützigkeit bescheinigt hat), der DOSB, der DFB und letztlich die DFL, die einen aus dem Kreis der DFL Vereine mit der Zulassung von RB von den Einnahmetöpfen der TV Gelder verdrängt hat.

 

 

Auch Opa passt es nicht, dass es diese Körperschaft gibt, die in Gutsherrenart gegen alle Regeln des Fairplay verstößt. Aber was soll man machen, wenn man nachts Kinder mit Fanutensilien von den Ratten trifft, die total begeistert davon sind, dass sie in der eigenen Stadt endlich Fußball-Idole haben, denen sie zujubeln können? Wäre es wirklich besser, wenn die Fans von den Bauern oder von Biene Maja werden? Opa war im Zwiespalt. Und ist es immer noch. Immerhin war die Tochter Fan von Berlin, denn neben ihrem RB Schal baumelte eine Handtasche mit der Aufschrift I love Berlin. Wie das zusammenpasste? Sie findet Berlin aufregender als Leipzig. Berlin sei eine so tolle Stadt, man könne so viel erleben, die ganze Welt käme gerade nach Berlin. Opas Einwand, Berlin habe auch einen tollen Fußballverein, konterte sie geschickt mit „ja, da wohne ich aber nicht“. „Support your local team“ eben. Es war zu spät, das Mädel zu jung, Opa zu müde, um die Erziehungsarbeit des Vaters zu übernehmen, denn die Frage wäre ja dann gewesen, warum nicht Lok oder Chemie. Egal, anderer Leute Kinder gehen Opa nichts an. Mit Einverständnis des Vaters portraitierte Opa noch die „Kombo“ bevor er sich in die Nacht verabschiedete.

FOTO Collage RB Familie

 

Als wir Berlin Südkreuz erreichten, verabschiedete sich Opa noch von Mehmed, dem sympathischen Bistromitarbeiter, der sich auch auf sein Bett im Intercityhotel freute. Opa auch. Also auf seins. Daheim. Vorher war noch eine Fahrt mit der Ringbahn zu erledigen. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass nachts auf der Ringbahn paramilitärisch gekleidete Mitarbeiter der DB Sicherheit mitfahren, dass die aber die ebenfalls zugestiegenen Kontrolleure Marke „Cindy aus Marzahn“ bewachen, war Opa dann doch neu. Das gab's früher schon in ähnlicher Form, als die BVG im Volksmund „bewaffnete Fahrscheinkontrollen“ durchführte. BVG Mitarbeiter liefen Doppelstreife mit der Berliner „Bullissei“. Du gute Güte, es war schließlich weit nach Mitternacht.

 

Egal, Opa erreichte am Zielbahnhof einen Bus, der ihn bis fast vor die Haustür brachte. Opa wollte nur noch ins Bett, als er laute Gespräche und Lachen aus dem Hof vernahm. Opas Nachbarn ein Haus weiter haben sich im Frühjahr im Garten zum Hof eine Feierecke eingerichtet. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn sie es nicht seit Wochen schon übertreiben würden. Feten unter der Woche bist nachts nach ein Uhr, am Wochenende gefühlt non stop. Und Opas Hinweise, dann doch mal leise zu sein, wurden wie immer mit „interessiert uns nicht, verpiss Dich“ beantwortet. Opa ist nun wirklich kein Spielverderber, aber irgendwann scheint man Grenzen setzen zu müssen. Also den Notruf gewählt, keine Viertelstunde später bog ein Streifenwagen ein. Der Beifahrer entdeckte Opas „1930/1931“ T-Shirt und konnte es „ach, die gute, alte Hertha Zeit. Waren Sie in Ingolstadt?“ zuordnen.

 

 

Nun wollte Opa aber nicht über seine Reise sprechen (das kann man schließlich alles hier nachlesen), sondern dass die für Ruhe sorgen. Leider ohne Erfolg, denn keine 10 Minuten später war die Feier wieder im vollen Gange. Also wieder 110, Opa konnte ja eh nicht schlafen. Diesmal bog statt des Streifenwagens aber mit gewohntem Tuckern eines Schiffsdiesels ein „GRU“ der Bereitschaftbullissei ums Eck. Ach Du je, Helmträger, die hatte Opa nun nicht unbedingt bestellt, aber um die Uhrzeit nimmt man, was man kriegt. Nochmal kurz die Problematik erläutert, die Geräuschkulisse vorgeführt und für ein paar Minuten war dann nach deren Partybesuch tatsächlich Ruhe. Bis es wieder weiterging. Dann ist Opa selbst nochmal hin und hat nochmal gaaanz deutlich gemacht, dass in der Nacht so lange die Bullissei kommt, bis wirklich Ruhe ist. Danach, es muss gegen halb vier gewesen sein, löste sich die Partygesellschaft endlich auf. Opa konnte endlich, endlich schlafen und dachte sich, dass das nicht Tag der deutschen Sprache, sondern offensichtlich Tag der „Bullissei“ war.  

 

Nachwort

Nach einer kurzen Nacht stand bei Opa noch ein Sonntag-Nachmittag-Highlight auf dem Programm. Auf einer Hochzeit eines Herthaners lernte er eine Spielerin einer Berliner Damen-American-Football Mannschaft kennen. Defense Line, Linebackerin. Im Fußball wäre das so eine Art „Abwehrchef“ und Opa schaut ja gern mal über den Tellerrand, was Sportarten angeht, warum also nicht auch mal Frauen-American-Football. Also hin zum Stadion Wilmersdorf, 4 € Eintritt bezahlt (immerhin Halbfinale der deutschen Meisterschaft) und angenehm überrascht gewesen. Zum einen, weil liebevolles Catering angeboten wurde mit einem Buffet, welches die Tische durchbog vor den unzähligen, von stolzen Spielermüttern gebackenen Kuchen. Zum anderen, weil ungefähr 300 Zuschauer den Weg ins verschlafene und in den Kurven und weiten Teilen der Gegengerade zugewucherten Stadions gefunden hatten. Opa suchte sich ein schattiges Plätzchen und schaute dem Treiben zu. Ein nimmermüder Stadionsprecher, Marke Losverkäufer auf dem Rummel, versorgte - mal mehr und mal weniger verständlich – die Zuschauer mit Informationen zum Spiel, untermalt von selbst dazugemixter Musik. Ein paar Fans hatten es sich gemütlich gemacht und nuckelten an mitgebrachten Shishas und organisierten so etwas wie Support. Da sie nur zwei Handvoll waren (immerhin mit Schwenkfahne), war das aber selten wirklich laut. Zur Unterstützung hatten sie eine Luftschutz-Sirene mitgebracht. Die war gut zu hören, allerdings so gut, dass sich der Trainer der Heimmannschaft beschwerte. Zur Halbzeit wechselten die Fans dann auf die andere Seite des Stadions, welches offiziell nicht zum Stadion gehört und machten da richtig Rambazamba, da konnte auch der Trainer ihnen die Sirene nicht verbieten. Und wo sie schon außerhalb des Stadions waren, gab's noch ein bißchen Pyroshow mit Blinkern und Rauch in den Farben der Lady Kobras.

 

 

Collage FOTO Pyroshow

 

 

Die Lady Kobras gewannen souverän, schafften mehrere Touchdowns, Two-Point-Conversions und Opa merkte, dass seine rudimentäre Regelkunde des American Football kaum ausreicht, um im Detail zu verstehen, was denn nun war, wenn die Schiris abgepfiffen haben. Ansonsten ein netter Nachmittags-Ausflug. Zum Ladies-Bowl wird Opa aber nicht gehen können, da findet zeitgleich das Spiel von Hertha in Frankfurt statt. Dann gibt’s übrigens auch ein Doppeltagebuch, denn Opa fährt Mittwoch nach München und von dort aus gleich weiter nach Frankfurt. Opa wird viele Exilherthaner treffen und auch drumherum ist schon ein wenig für Programm gesorgt.