#73 - Opas Reisetagebuch – 20.8.2018 – Braunschweig – Leitfaden für Praktiker

Prolog

Gerade war Opa noch im Trainingslager in Schladming, kam mit einem veritablen Vollbart zurück, der schon bald wieder abrasiert wurde, da diskutierte halb Deutschland über die Kapriolen eines ehemaligen Radfahr-Stars, der unter den kurz zuvor aufgetauchten „Ischias“-Witzen des EU Kommissionspräsidenten locker Limbo drunter durch machte und eine Prostituierte deshalb gewürgt haben soll, weil er mit seiner eigenen sexuellen Leistung nicht zufrieden gewesen sein soll.

FOTO Je suis Jan Ullrich

 

Opa dachte in diesem Sommerlochthema noch darüber nach, ob der nicht Herthaner sein könnte, da rollte die Saison schon mit Siebenmeilenstiefeln auf die Fans zu, die über drei Monate auf Vereinsfußball verzichten mussten. Vorher stand noch eine Büroparty an, die Opa seit ein paar Monaten regelmäßig organisiert und bei der er seine Kollegen mit allerlei Barbecuespezialitäten verwöhnt und sein Grillsportgerät an dessen kapazitativen Grenzen bringt. Beim Aufräumen am nächsten Tag entdeckte Opa dann in der Teeküche (war da nicht mal was?) passenderweise die heruntergefallene Broschüre „Leitfaden für Praktiker“ :)

FOTO Leitfaden für Praktiker

 

Auch für schöne Ecken der Heimatstadt hatte Opa noch etwas Zeit vor Saisonbeginn. In Lichterfelde gibt es an der Bäkestraße einen an sich hübschen, aber etwas verkommenen Park, in dem ein Denkmal für den Luftfahrtpionier Otto Lilienthal steht. Berlin war nicht immer BER.  

FOTO Lilienthaldenkmal

 

Reiseplanung

Genug der Vorrede, widmen wir uns der ersten Pokalrunde, bei der uns als Gegner die Braunschweiger Eintracht zugelost wurde. Und gleich wieder zeigte sich die hässliche Fratze des modernen Fußballs, denn das Spiel wurde auf einen Montag Abend terminiert. Opa hatte über längere Zeit nachgedacht, ob er wirklich Lust dazu hatte, diesem Spiel vor Ort beizuwohnen. Ein Gespräch mit einem seiner Vorgesetzten ließ ihn aber umdenken, denn der meinte „leg Dir doch am Montag oder Dienstag einen Termin in der Nähe“. Weshalb nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Gesagt, getan. Opa organisierte zwei Termine und buchte ein Hotel in Braunschweig. Opas Leben ist gerade ziemlich famos.

 

Anreise

An dem Montag eilte Opa mit dem Firmenwagen Richtung Stadt Heinrichs des Löwen. Derzeit ist es kein Vergnügen, beruflich mit dem Auto unterwegs zu sein. Die Dauerbaustelle rund um Michendorf ist mehr als eine Staufalle, die A2 diesbezüglich unberechenbar und so stand auch Opa auf dem Weg nach Braunschweig in einem Stau, der sich glücklicherweise aber rasch auflöste und nicht den gesamten geplanten Puffer aufzehrte. Opa checkte noch schnell im Hotel ein, wo er mal wieder entdeckte, wie groß der Unterschied zwischen Darstellung in Buchungsportalen und der Realität sein kann. Als die Rezeptionistin fragte, ob alles okay sei, sagte Opa, der in Eile war, nur „Ich hätte das andere nehmen sollen“. Keine Zeit für Erklärungen, denn Opa musste Richtung Stadion.

Auf dem Weg Richtung Hauptbahnhof wurde Opa mit typisch niedersächsisch-funktional-langweiliger Braunschweiger Architektur belästigt. Wenn Kleinstädte versuchen, was metropoliges zu bauen, kommt so etwas bei heraus:  

FOTO Braunschweiger Innenstadt

 

Am Hauptbahnhof lief Opa dann den ersten Herthanern über den Weg, die mal mehr und mal weniger derangiert wirkten. Opa brauchte erstmal was zu trinken, um wenigstens annähernd auf Fußballniveau runterzukommen. Also im Hauptbahnhof den ersten Kiosk gestürmt, ein Pils angerissen und als Sturzbier genossen. Beim Burgerbrater einen schnellen Burger auf die Hand, noch zwei Pils und ab Richtung Shuttlebusse, was sich als Fehler herausstellen sollte. Als wär das nicht schlimm genug, hätte Opa das wissen können, denn er war ja nicht das erste mal in Braunschweig.

 

Also wurde Opa mit dem gröhlenden Restmob im Gelenkbus um Braunschweig herum gefahren. Eine Strecke, die man zu Fuß in einer Viertelstunde schaffen dürfte, verlängerte sich auf eine halbstündige polizeieskortierte Busfahrt rund um Braunschweig, nur um den Bus nicht an den Braunschweiger Fans vorbeifahren zu lassen. Und so ertrug Opa, immer noch nüchtern, das Gegröhle seiner Mitfahrer, von denen einer gröhlend auf die Busdecke den Takt seiner Gröhlereien einschlug. Hach, endlich wieder normale Leute.

 

Als der Bus Opa endlich ausspuckte, das mitgebrachte Bier war mittlerweile alle, organisierte sich Opa an den Fanbussen erstmal Nachschub, man kennt seine Pappenheimer und Opa weiß mittlerweile, wo es zuverlässig eiskaltes Bier und Mixgetränke gibt und ist immer wieder dankbar, dass er dort versorgt wird. Nach den Begrüßungsarien der Familie stand Opa mit einem Fanclubvorsitzenden da und beobachtete das Treiben. Einige waren hochmotiviert, endlich reinzukommen, andere torkelten und stolperten mit sichtlicher Schlagseite Richtung Eingang und zwischendurch brachten die Behelmten den Tross „junger sportlicher Männer“ in engmaschiger Begleitung auf den umzäunten Parkplatz. Ritualisiertes Familientreffen unter staatlicher Aufsicht.

 

Während Opa in Gedanken schwelgte, ertönte es plötzlich „Nehmen wir noch einen?“ neben ihm. Was ist das für eine Frage? Also tapperte Opa zu seiner Geheimquelle, man schwapperte sich noch einen Whiskey-Cola und ein paar Eiswürfel in den Becher und beobachtete weiter das bunte Treiben, was auf Außenstehende als eine Art Ausdruck von Wahnsinn wirken muss. Was bringt erwachsene Menschen, die Urlaub nehmen, sich überteuerte Tickets andrehen lassen, völlig überteuerte Trikots überzwängen, viel zu viel Alkohol in sich hineinschütten, sich schlecht benehmen, auf unbefestigten Parkpläzen, die sich im Regen in nullkommanix in Schlammtümpel verwandeln, dazu, sich ein Fußballspiel anzusehen, was zudem meist wenig sehenswert ist? Opa nahm noch einen Schluck, während er in diesen Gedanken war und die Ordner schon begannen, die ersten Absperrungen abzubauen.

 

Plötzlich Aufregung, drinnen gab's ein wenig Feuerwerk, draußen gab's noch einen Schluck Feuerwasser. „Das beste dürften wir verpasst haben“, sagte Opa zu seinem Begleiter. „Na dann nehmen wir noch einen“, Opa nahm in einem großen Schluck den Rest des Bechers die Kehle hinunter und hielt zum Nachschenken hin. Naja, aber das ganze Spiel wollten wir dann auch nicht draußen am Bus stehen. Also eine Temporunde getrunken und rein. Nur wo? Die Eingänge waren alle zu, die Ordner damit beschäftigt, Absperrungen hinter den Zaun zu tragen. Opa überlegte urz, so zu tun, als gehöre er dazu und sich ein Absperrgitter zu schnappen, als er angewiesen wurde, sich zu einem kleinen Tor zu begeben, wo Opa und sein Begleiter recht ausführlich gefilzt wurde. Wozu, blieb allerdings unklar, das Feuerwerk war ja schon vorbei.

 

Im Stadion

Dann der nächste Schock: Opa wollte sich für die Mischen am Bus revanchieren und ein Bier ausgeben. Alkoholfrei! Wie denn, was denn, diesen Unsinn wird Opa nie verstehen, zumal das dazu führt, dass noch mehr draußen getrunken wird. Egal, also erstmal in den Block und siehe da, für einen Montag Abend hatte sich die Hertha-Auswärtsgemeinde doch durchaus zahlreich versammelt und durfte einer nominell zwar überlegenen Herthamannschaft zusehen, die sich mit dem bereits im Spielbetrieb befindlichen Drittligisten aber durchaus schwer tat, vor allem, wenn sie gefragt war, das Spiel zu machen. Wer dachte, dass Hertha mit der Systemumstellung nun Hurra-Offensiv-Fußball bieten würde, sah sich getäuscht, Opas Prognose aus dem Trainingslager sollte sich bewahrheiten, dass wir weiter „Hintenrumscheiße“ im Stadion zu sehen bekommen.

 

Plötzlich stand einer mit vier Bier neben Opa. Opas spöttischer Hinweis, ob er denn wisse, dass das alkoholfrei sei, konterte er mit „im Radler ist Vollbier“. Wie denn, was denn, das musste Opa herausfinden, sofort begab er sich zum Bierstand und flirtete die Bedienung an. Ja, das Radler sei mit Vollbier, wurde ihm versichert. Donnerwetter, dann hätte Opa gern ein Radler mit wenig Sprite. Nein, noch weniger. Schnell wurde noch eine diabetische Erkrankung vorgegaukelt, die Bedienung verstand's und so kam Opa doch noch zu dem einen oder anderen Bierchen. Geht doch.

Naja, vom Bierstand kam Opa dann nicht mehr weg und so wurde dort halt Hofstaat gehalten. Gluckgluckgluck - „kannse mir noch'n Tieschört machen?“ - „samma, wo lässte denn die ganzen Aufkleber drucken?“ - „Prost“. Opa mag Euch Verrückte alle :)

 

Tja, drinnen fielen die Tore, nach Plattes Traumtor hatte neun Minuten vor Schluss Braunschweig ausgeglichen und während Opa die Besatzung vom Bierstand auf eine Verlängerung vorbereitete, erlöste uns in dem Moment der Kapitän mit einem Tor. Tja, dann vielleicht ein anderes mal. Opas Trip-Advisor-Tipp für Braunschweig Besucher: Nett sein und Radler bestellen.

 

After Match Party

Draußen noch ein Siegergetränk genommen, einige Busse hatten es eilig heimzukommen und fuhren beinahe sportlich durch die abströmende Menschenmenge. Mit der Tram ging es Richtung Hauptbahnhof und die autochthone Bevölkerung war beim Finden der richtigen Verkehrsmittel durchaus hilfsbereit. Opa hatte sich noch mit ein paar Exilherthanern, die sich ebenfalls in der Innenstadt im Hotel einquartiert hatten, verabredet, um die Hotelbar zu leeren.

 

Gesagt, getan und so brachte Opa auch etwas Trinkkultur in die nierdsächsische Provinz und brachte denen „Futschi“ bei, auch wenn es dem Kellner offensichtlich Unbehagen bereitete, seinen doch recht kostspieligen Brandy mit Cola aufzugießen. Opas beruhigendes „das soll so“ ließ ihn sein Werk vollenden, nach dessen Vollendung er aussah wie ein Bombenentschärfer, der gerade den roten Draht durchgeschnitten hatte und beruhigt war, dass die Bombe nicht losgegangen war.

 

Und so saßen wir noch eine gefühlte Ewigkeit, philosophierten über Fußballgott und die Welt und irgendwann zu später Stunde wankte Opa in Richtung seines wenige Fußminuten entfernten Hotels und fiel in den Schlaf der gerechten Pokalsieger. Etwas verkatert verließ Opa am nächsten Tag das Hotel, um zu seinem niedersächsischen Termin zu fahren, in dessen Anschluss es noch vorbei an der Porta Westaflica...  

FOTO Porta Westfalica

 

...ins Bergische Land ging. Aber das hatte mit Hertha nüscht zu tun.