Die Weltmacht wankt

Zugegeben, als ich auf dem Rückweg von Östersund war, habe ich kurz überlegt länger in Schweden zu bleiben. Zu beeindruckend die Natur, zu nett die Schweden selbst. Außerdem dachte ich nach der erschreckend harmlosen Vorstellung meiner Hertha in der schwedischen Provinz Jämtlands, das es gegen Bayern ohnehin eine Klatsche geben wird. Naja, wie das so ist, ein paar Minuten später waren die trüben Gedanken verflogen und ich freute mich auf Berlin und das nächste Spiel meines Herzensclubs. Viel Zeit blieb mir ja nicht um mich vom Schwedentrip -den wir mit dem Auto bewältigt hatten- zu erholen.

Der Sonntag kam und ich freute mich wieder wie ein kleiner Junge auf meine „alte Dame“ aber was war das für ein Gefühl, als ich mich unserem „Wohnzimmer“ näherte. „Urlaub auf dem Bauernhof“ schoss es mir durch den Kopf und das in der eigenen Stadt. Unzählige Trachtendarsteller in Seppl Kostümen hatten sich vermehrt auf dem Weg in die schönste Stadt der Welt gemacht, nur um sich auf ein „Ernte Dank Fest“ der besonderen Art einzustellen. Und, oh ja, sie kamen aus ganz Bayern. Aus Postdamingen, Prenzlbergsgreuth und sogar aus Bayerisch-Sachsen. Gestalten, die auf Spitznamen wie Bertl, Toni, Stofferl und Christl hören und alle eins gemeinsam haben, den Hang den Halbtagsbayern zu geben.

Dabei können diese armen Madl und Buam kein einzigen Laut der bajuwarischen Geheimsprache. Sie halten das „Zutzeln“ für eine anstößige Praxis aus dem Sexualleben, „Hoit Dei Fotzn“, für eine Aufforderung einen Gynäkologen aufzusuchen und den FC Bayern München schon vor dem Spiel für den Sieger.

Dennoch war irgendwas was anders an diesem Sonntag. Die bayrischen Gemüter waren schon weit vor dem Spiel etwas getrübt. Zwei neben mir stehende Bayerndarsteller brachten das in etwa so zum Ausdruck: 

 

„Ick weeß nich, ick seh schwarz für meene Bayern heute, dit liegt annen Rumenigge.“ Darauf sein Kniebundhosen tragendes GegenüberDuh nich so rummgähsn. Dorr Ancelotti is beduhdld!

 

Um solche Dialoge in unserer Nähe einigermaßen zu unterbinden, haben meine Kumpels und ich als Dauerkarteninhaber unser Vorkaufsrecht wahrgenommen und mehrere Karten gekauft um diese Tickets den Eventfans zu entreißen und an Herthaner weiter zu geben. Das haben wir schon die Jahre davor praktiziert und es funktionierte ziemlich gut. Karten kaufen und Herthanern die weder Mitglied noch Dauerkarteninhaber sind, die Tickets zum Originalpreis überlassen. Perfekt. Nur diesmal stellte sich die Verteilung der Karten an Gleichgesinnte als Herkulesaufgabe heraus. Wir haben gerade so, mit ach und krach, die Karten an den blauweißen Mann bzw. Frau gebracht. Warum? Nun das Spiel gegen die Bauern war nicht ausverkauft. Das erste Mal seit 12 Jahren, spielten die Bayern nicht vor ausverkauftem Haus.

Wer jetzt, „Scheiß Berliner Publikum ruft“, dem sei folgendes gesagt. Hertha hat in Berlin nur einen Stamm von gut 40000 Zuschauern, einen der Gründe habe ich schon mehrfach angeführt und sei hier nur kurz angerissen. Der gebürtige Berliner ist mittlerweile in der Stadt in der Minderheit. Es ziehen immer mehr Außerirdische in unsere Stadt, bei gleichzeitiger Abwanderung der echten Berliner. Die Bevölkerungszahlen in Brandenburg sind sogar rückläufig.

Eine Entwicklung die natürlich auch den Machern bei Hertha bekannt ist. Es gilt daher aber gerade das Berliner Element bei der Werbung um neue Zuschauerkreise zu betonen. Verlässt man als Berliner Verein die Linie „Lokalkolorit“ ist der Verein nicht mehr als Berliner Club wahrnehmbar und somit auswechselbar.

Wir müssen noch ungefähr 10 Jahre Geduld aufbringen, dann sind die Kinder der Zugereisten als echte Berliner die Zielgruppe um die man buhlen muss.

Trotzdem war ich auch irgendwie stolz auf diese Stadt. Denn es wurde deutlich, dass die Bayern nicht die Basis in unserer Region haben, die ich befürchtet hatte. Ja, ich dachte es gäbe schon gefestigte Strukturen in unserer Stadt, die eine stabile bayerische Fanszenerie vorweist. Das Spiel am letzten Sonntag zeigte mir jedoch etwas anderes. Es gibt keine feste Bayernfandarstellerszene in Berlin. Kein Erfolg, kein Bayern Fan. Was also früher schon so war, bleibt auch im Jahr 2017 erhalten.

Das beruhigte mich aber nur am Rande. Beruhigender war da der Auftritt der blauweißen Männer. Nach Mainz und Östersund habe ich der Mannschaft schon ein bisschen den Charakter abgesprochen. Der Auftritt am Sonntag hat mich eines besseren belehrt. Früher und damit meine ich auch noch die letzte Saison, wäre Hertha nie und nimmer zurück gekommen. So aber bleibt ein gefühlter 2:2 Sieg gegen Bayern, die in dieser Saison noch ihr blaues Wunder erleben werden. Oder wie sagte es ein sichtlich erschöpfter Bayerntrikotträger nach dem Spiel sehr treffend: „Ich bün of, ick mot in mien Düdenbüttel!“ Wie??? Ihr versteht das nicht? Ich auch nicht. Ich kann ja auch kein bayerisch.

 

 

Ha Ho He Euer Knut