Teil 1 - München

Vorwort

Wer was übers Stadion und Spiel lesen will, kann den ersten Teil des Reisetagebuchs überspringen, in München geht Opa nicht ins Stadion.

 

Prolog und Reiseplanung

Englische Wochen sind für Auswärtsfahrer schon hart genug. Dass wir ausgerechnet am Mittwoch nach München müssen, nimmt der fortgeschrittene Auswärtsfahrer beinahe schon abgestumpft zur Kenntnis.

 

Wenigstens wurden die Spiele zeitig terminiert, so dass genug Zeit für die Planung war. Und die Kontingente an Billigtickets für die Bahn reichlich. München und Frankfurt in 4 Tagen? Opa fiel ein, dass er ja in beiden Städten jede Menge Exilherthaner kennt. Wozu sich also aus München in der Nacht zurückquälen, wenn man auch noch einen bunten Abend machen kann? Gesagt, gefragt, getan, Opas Netzwerk funktioniert wie ein Uhrwerk und Opa ist unendlich dankbar, dass die Exilherthaner ihm meist mehr als ein Sofa für die Nacht anbieten. Doch dazu später mehr.

 

Auswärtsfahren sei teuer. Pustekuchen. Auf diesem Weg in Kombination mit den Billigtickets und Bahncard kam Opa für 4 Tage unterwegs sein auf gerade mal 42,50 € für die Fahrt von Berlin nach München nach Frankfurt nach Berlin. An der Planung war also schon lang ein Haken dran.

Seit der letzten Auswärtsfahrt nach Ingolstadt war eine Menge passiert. Im Berlin-Pokal der Herren spielte der Bezirksligist FSV Hansa 07 gegen den Regionalligisten Viktoria vor erstaunlich vielen Zuschauern unter Flutlicht (naja, es war Licht da, eher ohne Flut) auf dem direkt neben dem Görlitzer Park gelegenen Kunstrasenplatz in der Wiener Straße. Über 200 Zuschauer fanden an einem lauen Mittwoch Abend den Weg nach Kreuzberg, um dem heillos überforderten Bezirksligisten beim erwartungsgemäßen Ausscheiden zuzusehen. Eintritt frei, das Catering beschränkte sich auf politisch-ethisch-korrektes Biobier aus Franken, die Anlage vom Sportamt zeigte sich in einer Mischung aus süßem Dornröschenschlaf und charmanter Marodität wie sie typisch für viele Anlagen dieser Art ist.

 

Zwischenzeitlich erreichte Opa Fanpost aus fernen Ländern. Stolz präsentieren Herthaner ihre Schals oder Fahnen. USA, China, Bolivien… Wer auch noch Bilder von sich aus aller Welt hat, immer her damit!

FOTOGALERIE Hertha international

 

Ein wegen Nationalmannschaftsgedöns spielfreier Sonntag hat den Vorteil, dass man sich mal wieder exotischeren Sportarten widmen kann, denen neben dem Fußball zu wenig Aufmerksamkeit bleibt. Opa ist seit einiger Zeit vom Rugby begeistert und als das Bundesligaspiel Berlin gegen Hamburg anstand, war Opa mitsamt seinen Hoppingbegleitern am Start. Bei diesigem Wetter begaben wir uns in die Jungfernheide, um dort am Spielfeldrand dem Treiben zuzusehen. Keine Ordner, kein Zaun, kein nichts hindert einen daran, dem Spektakel hautnah beizuwohnen. Man riecht das Gras, die aufgewühlte Erde, den Schweiß der Männer, die wenig zimperlich miteinander umgehen und man hört nahezu jedes Kommando der Frau Schiedsrichterin, die ihren zierlichen Körper in rosa Dress gekleidet, die Kerle fest im Griff hat. Und was für Kerle, ach, was heißt Kerle, das sind Kampfmaschinen voller Adrenalin! Kaum einem von denen möchte man im Dunklen begegnen, zum Teil über 2 Meter groß und Bratpfannenhände. Harte Tacklings, die schon mal auf der Picknickdecke eines Zuschauers am Spielfeldrand enden, führen zu Nickligkeiten, Nickligkeiten zu bisweilen aufkeimenden Rangeleien außerhalb des Spielgeschehens, doch Frau Schiedsrichterin hat alles im Griff, was auch an der Tatsache liegt, dass die Kommunikation ausschließlich zwischen Kapitänen der Mannschaft und dem Referee stattfindet. Strafen gegen Spieler werden über die Kapitäne ausgerichtet. Selbst umstrittene Szenen führen nicht zu Rudelbildung, trotz allen Adrenalins und Härte ist Rugby um ein vielfaches fairer als im Fußball. Auch ein getackelter Spieler steht meist sofort wieder auf. Wenn nicht, weiß man, dass der Treffer hart war, aber das ist kein Grund, das Spiel zu unterbrechen. Wer mal wieder ehrlichen Sport sehen will, sollte sich ein Rugbyspiel ansehen, auf Bundesliganiveau ist das allemal temporeich und sehenswert, auch wenn da Typen dabei sind, die einem Angst und Bange werden lassen. 

FOTO Rugby

 

Am Vorabend des Heimspiels gegen Schlacke versackte Opa mal wieder mit einem Exilherthaner aus Thüringen, der liebenswerterweise eine Flasche Spirituose springen ließ. Leider servierte die Wirtin Cola, die schlecht geworden war, aber Opa konnte die Cola gerade noch retten. 

FOTOCOLLAGE Coke

 

Auf dem Weg zum Heimspiel gegen Schlacke, welches großartigerweise siegreich endete, entdeckte Opa ein lustiges Graffitti am U Bahnhof Bismarckstraße. Wer auch immer Opa hasst: Haters gonna hate :D

FOTO Opa Hass

 

Nach dem Spiel wurde der Sieg gebührend gefeiert. So viele Jahre gingen die verhassten Schlacker siegreich nach Hause, gegen kaum einen anderen Verein macht einem Herthaner das Siegen mehr Spaß, das muss man auskosten, auch, wenn es Sonntag Abend ist und am nächsten Morgen die Arbeit ruft.

 

Anreise München

Keine Bouletten, kein Suff, keine Kühlbox, keine Musik. Eigentlich wollte Opa allein reisen, ein paar versprengte Herthaner fragten dann aber doch an, ob sie sich einklinken könnten und Opa sagt selten nein. Also traf man sich am Mittwoch morgen am Bahnhof. Doch wir sollten in dem Zug nicht allein sein, am Hauptbahnhof wimmelte es nur so von rotweißen Leuten aus Köpenick. Irghs, schnell nachgeschaut, stimmt ja, die spielten in Würzburg und nahmen exakt denselben Weg wie wir. Ein Lapsus in Opas Reiseplanung.

 

Naja, zu den Althauern von denen hat Opa ja noch Kontakte von früher, als im Herthablock ganz selbstverständlich eine Fahne von Union hing. Mit den ”Alten” kann man auch jederzeit in Ruhe ein Kaltgetränk zu sich nehmen, da gibt´s glücklicherweise genug Anknüpfungspunkte. Der Konflikt ist eher ein Thema für die Jungen, wobei es auch da genug “Wanderer zwischen den Welten” gibt. Es gibt ja durchaus auch familiär schwierige Konstellationen, wenn die große Liebe auf jemanden fällt, der sein soziales Umfeld in den anderen Farben hat. Muss man nicht verstehen, ist aber so. Und sicher für niemanden einfach.

 

Doch sich deswegen die Fahrt versauen lassen? Och nö. Also schwelgte Opa mit seinen Altkontakten in den Geschichten von damals, man gluckerte das eine oder andere Bierchen im Bordbistro und Opa schlich sich als “Photobomb” auf ein Gruppenfoto. In Würzburg bot man Opa an, dort mit ins Stadion zu gehen, eine Karte habe man noch über. So verlockend sich das anhörte, zu eng war der Zeitplan, aber Opa kommt eventuell später mal für ein “special” drauf zurück.

 

In München angekommen, ging es erstmal zu einer Brotzeit in einen Biergarten, bevor die Weiterfahrt zum Stadion anstand, wo wie jedes Jahr aufs Neue unter Beweis gestellt wird, dass die ÖPNV Infrastruktur eine Katastrophe darstellt. Ein viel zu kleiner Bahnhof und zu wenig Züge führen nicht nur zu brechend vollen Bahnen, sondern auch zu ordentlich Gedränge im Bahnhof. Man möchte sich nicht ausmalen, was im Fall einer Panik passiert.

 

Im Sonnenuntergang tauchte dann das rot illuminierte Schlauchboot auf, drumherum jede Menge Menschen in Fankleidung der Bauern, Opas Lust auf dieses Spektakel sank von Schritt zu Schritt. An der Taschenabgabe an den Busparkplätzen neben dem Bahnhof waren mörderlange Schlangen. Also dachte sich Opa, na dann geb ich meine Taschen halt an den Bussen ab. Also rauf Richtung Arena, mittlerweile war es eine halbe Stunde vor Anpfiff. Am Eingang angekommen aber festgestellt, dass keine Busse da sind und auch das Ordnungspersonal konnte nicht helfen. Gnarz, was nun? Drinnen liefen schon die Mannschaftsaufstellungen.

 

Da es keine Chance gab, musste Opa wieder den Berg runter zur Gepäckaufbewahnrung. Dort waren immer noch Schlangen, weshalb Opa das Motto “Wenn Du es eilig hast, geh langsam” beherzigte und sich am daneben postierten Bierstand erstmal hinsetzte. Das Treiben beobachtend überkam Opa eine spontane und bleischwere Unlust, sich dem Affenzirkus zu beugen, nochmal hoch zur Arena zu latschen und dann noch den Gang in den dritten Oberring anzutreten. Nein. Opa hatte Lust zu granteln wie ein Münch’ner Sechzigfan, erst Recht ob der aus der gesamten Republik angereisten Anhänger der Bauern, die mit allerlei unbayerischer Mundart sprachen.

 

Also ab ins Arenatreff, eine von einem alteingesessenen sechz’ger Fan betriebene Sportsbar, die zu zivilen Preisen Münchner Bier ausschenkt und nur eine Station von der unwirtlichen wie unwirklichen Arena entfernt liegt. Opa ertrug die sportliche Demütigung mit Haltung, soweit das zu vorgerückter Stunde noch möglich war. Müde erwartete Opa die Ankunft der Exilherthaner, die sich nach dem Spiel dort trafen und trotz der 0:3 Klatsche durchaus überwiegend gutgelaunt waren. So gutgelaunt, dass man noch weiterzog.

 

Zu später Stunde in privater Runde kamen noch zwei Münchner Bekannte dazu, die derzeit auf der Wiesn arbeiten und Hintergrundinfos über den alljährlich stattfindenden, staatlich legitimierten, gewerbsmäßigen Betrug berichteten. Die eine arbeitet als Bedienung, der andere als Zapfer und was diese erzählten, sollte neben vielen anderen Aspekten Warnung genug sein, einen großen Bogen um die Wiesn zu machen. Zum einen gibt´s Anweisung seitens der Wirte, in den 1 Liter fassenden Maßkrug maximal 750 ml einzuschenken, je später der Abend und je besoffener die Gäste, umso weniger wird es. Übrigens staatlich legitimiert, denn obwohl das Eichamt die Füllstriche kontrolliert, geht das Finanzamt München, was zur Wiesnzeit auf dem Festgelände eine Außenstelle einrichtet, davon aus, dass aus einem 200 Liter Fass mindestens 212 Maß ausgeschenkt werden. Die Stadt München unterstützt das Treiben, indem es deutsche Eichregeln außer Kraft setzt und den Wiesnwirten zugesteht, dass in einer Maß offiziell nur 900 ml drin sein dürfen. Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Opa ist kein Oktoberfestmuffel, mit den richtigen Leuten in der richtigen Stimmung ist das ein tolles Erlebnis, aber dafür muss man nicht nach München.  

 

Sei’s drum, der Tag war lang. Opa war müde und heilfroh, als wir endlich im Taxi zur Unterkunft saßen, wo Opa nach einem letzten Schlückchen ins Bett und sogleich in blauweiße Träume fiel.

 

Tag 2

 

Ein ganzer Tag in München, Opas Zug nach Frankfurt fuhr erst um Mitternacht, da stellt sich die Frage, was man mit der Zeit anfangen soll. Erstmal frühstücken und Opas Gastgeber waren so freundlich, den Tisch reichlich zu decken. Eine Riesenterrine hervorragender Weißwürste, dazu Brez’n, Opa war im Paradies. Aber das Wetter mit blauem Himmel und Sonnenschein waren eine zu große Verlockung, also grübelte Opa mit seinen Gastgebern, wie man wohl am besten den Tag verbringt. Auf die Wies’n? Guter Witz, schon gar nicht nach den Backgroundinformationen vom Vorabend. Opa kannte ja zudem schon einiges von München, weshalb die üblichen Tourihotspots eh ausfielen.

Beim hin- und herscrollen der Landkarte auf dem Smartphone fiel Opa der Starnberger See ins Auge. Warum denn nicht da hin? Gesagt, getan. Deutschlands fünftgrößter See, sagenumwoben durch das Ertrinken vom legendären König Ludwig II., der nur wenige Kilometer südlich von Berlin liegt, lockte mit seinem super Panorama am Nordufer:

PANORAMA Nordufer

 

Am besten genießt man das Panorama bei einem Spaziergang am Ufer entlang, vorher stärkten wir uns aber noch mit einem hervorragenden Schweinsbraten im Biergarten in Percha. Mit Blick aufs Wasser, was bei Opa für oft schlagartig freien Kopf und das Gefühl der Entspannung sorgt, ein Radler zu genießen, sind für Opa echte Momente, in denen ihm bewusst wird, wie gut es ihm geht. Und die oft gestellte Frage “warum tue ich mir das an” überhaupt nicht mehr bohrend im Kopf umherschwirrt.  

Sollte Opa mal im Lotto gewinnen, steht das Haus am See ziemlich weit oben auf der Wunschliste. Dafür müssen es aber definitiv mehr sein als die 9,20 €, die Opa an dem Tag mit 3 richtigen gewann. Das reichte wenigstens für den Schweinsbraten ;)

 

Nach einem ausgiebigen Spaziergang am Ufer entlang, über Klappbrücken, die für durchfahrende Segelboote öffnen und nichts für Menschen mit Höhenangst sind und dem Beobachten eines Empfangs der dort stationierten Bundeswehrtaucher, die mit einem “Partyponton” Besucher mit allem Zipp und Zapp incl. Ordonanzen bewirteten, ging es zurück zur Wohnung von Opas Gastgebern, wo wir uns mit einem kurzen Nickerchen vom “Stress” des Tages erholten.

 

Beim Abendspaziergang Richtung Theresienwiese entdeckte Opa gecrosste Graffitis, die er von den Farben her so auch aus Berlin kennt, nur halt in einem anderen Dialekt :D

FOTO Schleicht’s Euch

 

Auf dem Weg zum Abendessen, für welches wir ein authentisch chinesisches Restaurant wählten, kamen wir am Festgelände der Wies’n vorbei, was dieses Jahr komplett mit Rollzäunen abgesperrt ist. Schon bizarr, weil das ein bißchen an einen Zoo erinnert. Und vom Festgelände kommen einem viele wankende Gestalten entgegen, die sich an der Hauswand festhalten müssen. Am Kotzhügel, ein abschüssiger Hang hinter den Zelten, war dafür recht wenig Betrieb, ähnlich wie vor den Zelten, die Wies’n schien dieses Jahr nicht so gut zu laufen. Die eingezäunten “Realitätsflüchtlinge” scheinen sich der Panikmache in Sachen Terror zu beugen und bleiben lieber in ihren gated communities. Sei’s drum.

 

Wir gingen weiter zu unserem Restaurant der Wahl, wo am Nebentisch sichtlich von der  Wies’n angeschlagene Touristen versuchten, sich nachträglich eine Grundlage anzufressen. Das Essen im XIANG am alten Messeplatz war zum späteren Auskotzen aber viel zu gut und viel zu schade. Opa entschied sich für einen Topf geschmorte Rippchen, die exzellent zubereitet waren und so zart, dass die Knochen sich von allein vom Fleisch lösten. Wer mal in München nach einem guten Chinesen sucht, dem sei das XIANG durchaus empfohlen. 

FOTO Rippchen

 

Draußen war es bereits dunkel, Opas liebevollen Gastgeber müde, weshalb sich Opa am Abend Richtung Bahnhof verabschiedete. Opas Zug Richtung Frankfurt fuhr um Mitternacht. Die DB Lounge hatte schon zu, also “pennerte” Opa ein wenig auf dem Bahnhof herum. Flasche Bier und eine Bank reicht im Zweifel ja. Gleichzeitig kann man das bizarre Treiben zu Wies’n-Zeiten beobachten, wie Unmengen Touristen sich in Tracht zwängen und mal nüchtern hin und andere wiederum rotzevoll zurückfahren. Alles beobachtet von einem Polizeiaufgebot, was eher das Gefühl der Unsicherheit verstärkt, denn eigentlich fehlte nur, dass auf die sichtbar getragenen Maschinenpistolen noch Bajonette aufgepflanzt worden wären. Egal, noch eine Flasche Bier später sorgte die Bahn für Bewegungsprogramm und Entertainment. Gleiswechsel sind auf einem Kopfbahnhof mit besonders viel Lauferei verbunden. Opa hatte nur leichtes Gepäck, aber für diejenigen, die mit Sack und Pack, Koffern und Kinderwagen unterwegs sind, ist das mehr als lästig, zumal die krächzende Lautsprecherdurchsage nicht wirklich verständlich war. Es war wirklich Zeit, München langsam zu verlassen.

 

Teil 2 - Frankfurt

 

Opas Plan war, die Nacht von Donnerstag auf Freitag im ICE zu schlafen. Der Zug, der um MItternacht in München losfährt, fährt über die Bummelstrecke Augsburg, Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim nach Frankfurt, wo man morgens um halb sechs ankommt. Die Idee war gut, der Plan aber schlecht. Dreimal (!) Personalwechsel incl. Fahrscheinkontrolle sorgte für einen stets unterbrochenen Schlaf. Liebe Bahn: Warum?

 

Opa war um halb sechs froh, aus dem Zug aussteigen zu können. Opa wollte seinen Gastgeber nicht mitten in der Nacht überfallen, also schlug er am Bahnhof noch etwas Zeit tot. Mit der U-Bahn ging es nach zwei Tassen Café Richtung Vorstadtbezirk, in dem Opa für eine Nacht Quartier bezog.

Opas Gastgeber hatte sich wieder selbst übertroffen, der Frühstückstisch bog sich unter den aufgetafelten Köstlichkeiten. Opas Gastgeber verabschiedete sich nach dem Frühstück zur Arbeit, Opa haute sich dann doch erst nochmal aufs Ohr, der Plan, im ICE zu schlafen, war ja nicht aufgegangen. Am späten Vormittag dann ging Opa auf Sightseeing.

 

Tja, wenn man durch Frankfurt schlendert, denkt man an einigen Stellen, ui, hübsch, dieser historische Stadtkern rund um den Römer. Spricht man mit Einheimischen, wird das Bauensemble jedoch spöttisch als “Disneyworld” bezeichnet. Da, wo heute der Römer steht, fielen am 22. März 1944 Spreng- und Brandbomben und zerstörten den historischen Stadtkern. Bis in die 50er Jahre war dort ein Parkplatz, bis man begann die Reste der erhaltenen Fassaden zu retten und innen mit Betonzweckbau zu füllen. 

FOTO Disneyland

 

Gleiches gilt für die Paulskirche, in der das erste deutsche Parlament 1848 tagte. Draußen alt, innen ausgebrannt und als Zweckbau wiederaufgebaut. Hätte sich Opa gern von innen angesehen, aber an dem Tag war eine Veranstaltung des weißen Rings. Opa überlegte fluchend ein paar Wortspiele zum Thema “Ey, Du Opfer”, nahm dann aber aus Pietät dann doch Abstand. 

FOTO Paulskirche

 

Unter der Seufzerbrücke hindurch, die von Nord- und Südbau des Rathauses verbindet und der Legende nach deshalb so heißt, weil die Frankfurter Bürger früher im Nordbau Steuern zahlen mussten und danach angesichts schon damals horrender Abgaben halt seufzten. Opa fiel die Brücke allerdings noch aus einem weiteren Grund auf. Die Figuren, die die Brücke tragen, entsprechen so ziemlich dem Bild, welches Opa vom gemeinen Frankfurter Fan hat :D

FOTOS Brückenfiguren

 

Opa hat in den vergangenen Jahren über Frankfurt eher gelästert, zu sehr geprägt war das Bild von Bankentürmen und schmuddeligem Bahnhofsviertel. Dabei hat Frankfurt wirklich schöne Ecken. Neben “Disneyworld” ist das definitiv das Mainufer, was beim Wetter, was bei Opas Aufenthalt herrschte, dazu einlud, dort seine Zeit zu verbringen. Ja, Opa mag Wasser.

FOTO Mainufer

 

Auch im Untergrund hat Frankfurt etwas zu bieten. Die U-Bahnhöfe zum Beispiel, zum Teil absurd tief unter der Erde. An einem sind für den lokalen Bundesligisten die “Säulen der Eintracht” angebracht. Die Säulen wurden von den Verkehrsbetrieben dauerhaft zur Verfügung gestellt und für jede einzelne Säule wurden Patenschaften zu einem guten Zweck versteigert. Eine klasse Idee, weil ein triple win entsteht. Der U-Bahnhof wird mit Leben gefüllt, die Tradition des Vereins im alltäglichen Stadtbild erlebbar gemacht und einem guten Zweck kommt es auch noch zu. Vielleicht kann Hertha so etwas in Berlin mal anstoßen? 

FOTO Säulen der Eintracht

 

Und bevor Missverständnisse aufkommen: Opa geht gegenüber der Eintracht keine sonstigen Sympathien. Es geht nur um einen Blick über den Tellerrand. Apropos Teller. Opa liebt es ja, auf seinen Reisen lokale oder regionale Küche auszuprobieren. Wem bei Frankfurt nur Handkäs mit Musik und Äppelwoi einfällt, der hat eine der besten kulinarischen Spezialitäten an sich vorüberziehen lassen: “Grie Soß”, also grüne Sauce, ist typisch Frankfurt und auch wenn der Paps auf dem Teller wenig appetitlich aussieht, sehr, sehr lecker. Die Mischung besteht aus saurer Sahne und einem Kräutermix aus Petersilie, Schnittlauch, Sauerampfer, Borretsch, Kresse, Kerbel und Pimpernell. Serviert wird die kalte Sauce traditionell mit Kartoffeln und gekochten Eiern. Im Grunde ist das so eine Art Pellkartoffel mit Quark, wobei die Grie Soß etwas lieblicher schmeckt, weil die Säure des Quarks fehlt. Opa entschied sich, nachdem er den legendären Stand vom Wochenmarkt nicht fand, für eine Portion in einer Markthalle in der Nähe vom Römer. Der Pappteller mit Plastibesteck war zwar nicht ganz stilecht, aber dem Geschmack tat das keinen Abbruch. Wer in Frankfurt ist, sollte sich das nicht entgehen lassen:

FOTO Grie Soß

 

Ein paar Kirchen später, vorbei am Börsengebäude, vor dem Bulle und Bär als Bronzestatuen stehen…

FOTO Bulle und Bär

 

...bei denen der Bulle ganz unverhohlen seine Klöten zeigt…

FOTO Bullenklöten

 

…entdeckte Opa dann doch noch DEN Kultwagen, bei dem es am Markt “Grie Soß” gibt…

FOTO Grie Soß Wagen

 

...aber selbst zum Kosten war Opa noch zu satt. Opa machte sich auf den Weg, seinen Gastgeber von der Arbeit abzuholen. Dieser hatte Kohldampf und führte Opa zu einem Frankfurter Original, von welchem schon Herthas (und Frankfurts) Ex-Verteidiger Uwe Kliemann so begeistert war: Die original Rindswurst von Gref Völsing, eine Fleischerei, die seit 1894 nichts anderes macht als Rindswürste. Und verdammt, die sind wirklich gut, obwohl die “Brühpimmel” nicht allzu appetitlich auf der Pappe liegen:

FOTO Rindswurst

 

Sehr witzig ist übrigens der Rindswurst Knigge, für einen Moment hielt Opa die Frankfurter wirklich für sympathische Zeitgenossen ;)

FOTO Rindswurst Knigge

 

Nach einem frischen Kurzmachen wurde der frühe Abend bei bestem Wetter auf dem Balkon verbracht. Opas Gastgeber hielt eine Auswahl an 5 verschiedenen Sorten Flaschenbieren bereit, obwohl er selbst gar kein Bier trinkt (zumindest kein alkoholhaltiges. Also kein Bier). Opa blieb bei einem. Also einer Sorte :D

 

Zum Abendessen war Opa mit einigen Exilherthanern verabredet, die er auf seinen vorherigen Reisen kennengelernt hatte. Der eigentliche Plan, in einem urigen, regionale Küche anbietendem Gasthaus in Bornheim, ein Stadtteil mit dörflichem Charakter und echten Fachwerkhäusern zu essen, ging leider mangels freiem Tisch nicht auf. So mussten wir gegenüber auf den Irish Pub ausweichen, wo sich die Exilherthaner auch sonst treffen. Bei lauen Spätsommertemperaturen saßen, aßen und lachten wir in die Nacht hinein. Da es im Pub eher “britische Küche” gab, aus deren Auswahl sich Opa für Fish&Chips entschied, zu denen wenigstens original Vinegar gereicht wurde, beschränkten wir Opas Neigung zu regionaler Küche auf die Digestifs. Und da hat Opa tatsächlich etwas typisch hessisches entdeckt: Mispel!

FOTO Mispel

 

Mispel ist eine beinahe vergessene, alte Obstart, die früher weitverbreitet war. Die Früchte der Mispel verwendete man auch in der Medizin (frisch nach der Ernte ist die Frucht harntreibend, darüber hinaus sind entzündungshemmende, blutstillende und hautberuhigende Inhaltsstoffe nachgewiesen). Doch so, wie in diesem Pub die Mispel, die von den Hessen als lokale Spezialität kultiviert wird, war sie Opa am liebsten. Geschält, entkernt und in bestem Calvados versenkt. Wer es mal selbst probieren möchte und nicht im Garten Mispeln anbauen will, findet online Mispeln in Dosen, Calvados sollte in jeder gut sortierten Hausbar eh vorhanden sein. Noch eine Anekdote am Rande, um Opas Image gerecht zu werden: Im Saarland werden Mispeln auch als “Hundsärsch” bezeichnet, weil sie von unten betrachtet an die Poperze eines Hundes erinnern. Bei google finden sich erklärende Bilder :D

 

Opa hätte in dieser netten Gesellschaft und obendrein mit diesem netten Begleitgetränk noch viele Stunden sitzen können, doch irgendwann wollten die ersten nach Hause. Also noch ein Abschiedsmispelchen bestellt, schnell in den Nacken gekippt, im Vorbeigehen noch in einer gegenüberliegenden Wirtschaft einen Haselnuss hinterher, oh guck mal, die haben auch Mispelchen - nadannnehmenwirnochmaldrei - und schon saß Opa im Auto seines Gastgebers, der den vollgefutterten Opa in seinem niedrigen Sportwagen verfrachtete und sich königlich über das Stöhnkonzert amüsierte, weil Opa sich ein wenig benahm wie eine Schildkröte auf dem Rücken. Auf dem Heimweg schauten wir noch im Spätsupermarkt vorbei, ob es denn da wohl Mispeln zu kaufen gäb. Das nicht, aber ein Fläschchen Weinbrand für den Schlummifix-Schlaftrunk war noch aufzutreiben. Müde und satt fiel Opa in das Reich blauweißer Träume.

 

Tag 4 - Spieltag

Nach einer wunderbaren Nacht und einem üppigen Frühstück hieß es aufbrechen. Opa musste noch seine Sachen am Bahnhof einschließen und es war ein Treffen der Exilherthaner angesetzt. Als Treffpunkt, der bei den Frankfurter Herthanern durchaus umstritten war, war ein Flughafenrestaurant bestimmt worden. Das klingt erstmal etwas bizarr, macht aber durchaus Sinn. Keine pöbelnden Eintrachtfans, ein Teil der Exilherthaner kommt sowieso mit dem Flieger und, da der Flughafen von der Stadt aus gesehen, eine S-Bahnstation hinter dem Stadion liegt, kein Anreiseverkehr. Dafür gab´s die eher sterile Atmosphäre eines modernen Flughafen-Terminals und direkt über den Köpfen im Minutentakt einschwebende Maschinen. Angesichts der lustigen Menschen sorgten wir selbst für herzliche Atmosphäre, die der Location fehlte. Nach und nach trudelten die Exilherthaner ein. Ein Franzose, die Schweizer und natürlich ein Großteil der ganzen Frankfurter. 

FOTO Gruppenfoto

 

Opa hätte da gern noch länger gesessen (obwohl sie keine Mispel anboten, stand zwar auf der Karte, aber die Mispeln waren ausgegangen), doch die Zeit drängte. Auf dem Weg zum Stadion herrscht in Frankfurt zumindest bei der Anreise keine Fantrennung und das funktioniert erstaunlich gut. Vorm Eingang zum Gästebereich traf Opa zwei verzweifelte Exilherthaner aus Bonn, die darauf warteten, dass jemand ihnen die versprochenen Karten übergibt. Derjenige meldete sich zwar noch telefonisch und versicherte, gleich da zu sein, doch erschien er nicht. Also organisierte Opa noch zwei Not-Karten und wir konnten ins Stadion.

 

Im Stadion

Das Spiel lief schon, als Opa seinen Platz oberhalb des Stehplatzblocks erreichte. Durchaus gut gefüllt präsentierte sich das städtische Stadion:

PANORAMA Stadion

 

Das Spiel war aus Opas Sicht hart umkämpft, Hertha spielte phasenweise gut, phasenweise grauenhaft und zum Haare raufen. Bei einer dieser Situationen ditschte Opa gegen einen Schalensitz vor sich, der daraufhin über die Balustrade in den Unterring flog. Irghs, sollten die nicht “vandalismussicher” sein?

FOTO Fehlender Sitz

 

Obwohl Opa keinerlei Absicht hatte, den Sitz zu zerstören, kam natürlich gleich die Stadionsicherheit, Herthas Fanbetreuung und die Behelmten an. Man nahm Opas Personalien auf und bot ihm an, das gegen Zahlung einer Gebühr von 75 € zu erledigen. Opas Wunsch, dann aber wenigstens den Sitz zu bekommen, wurde allerdings abschlägig beschieden. Das wäre ein perfektes Mitbringsel von der Fahrt gewesen. So bleibt Opa nur eine Quittung über Ersatz und Entsorgung eines Sitzes, die ihren Weg ins Opamuseum finden wird.

 

Das Spiel, bei dem Hertha zur Halbzeit zurücklag und sich durch Tore von Ibisevic (58.) und Esswein (65.) zurückkämpfte, hat man wieder einmal vergeblich versucht, über die Runden zu schaukeln. Und so kam es, wie es kommen musste, in der Nachspielzeit erzielte Frankfurt noch einen späten Treffer zum Ausgleich. Gnarz, Opas Laune war im Keller.

 

Rückfahrt

Opas Laune wurde auch nicht besser, als er nach dem Spiel in den Kessel lief, denn die Herthaner wurden vom Ordnungsdienst (der in Frankfurt eher “rustikal” auftritt - mit Splitterschutzwesten und “Feuerlöscher”, der vermutlich mit Pfeffer gefüllt ist, die als “Eingreiftrupp” agieren und den Block stürmen) und der Bullissei am Verlassen des Stadions gehindert. Hinweise auf einen zeitnah abfahrenden Zug wurden genauso ignoriert wie neutrale Kleidung. Frankfurt ist nichts für Auswärtsanfänger.

 

Und so wurden die Herthaner erst mit Zeitverzug über einen Umweg durch den Wald geführt wie eine Sträflingskolonie. Am Bahnhof angekommen, wurde aus allen Richtungen so derb gepöbelt, dass die Behelmten dazwischengehen mussten. Ja, das Frankfurter Publikum ist in Sachen Fußball schon sehr “gewöhnungsbedürftig” und so ging das Gepöbel und Geschubse bis zum Hauptbahnhof weiter, wo man uns gnädigerweise wenigstens an die Schließfächer und etwas Proviant einkaufen ließ. Der ICE nach Berlin stand schon am Gleis. Tschüss Frankfurt, Stadt mit den verschiedenen Gesichtern.

Opa quartierte sich in ein Abteil ein, in dem von Heimspielen bekannte Gesichter saßen, die mit Opa Snacks aus ihrer speziellen Lunchbox teilten. 

FOTO Lunchbox

 

Opa deponierte sein Gepäck und begab sich auf Rundgang durch den Zug, der mehrheitlich in Herthahand war. Und so vielfältig wie unsere Fanszene war auch die Verteilung im Zug. Vom Partywaggon bis zum Schlafabteil war alles dabei. Opa naschte noch ein wenig an seiner am Vortag angebrochenen Flasche Weinbrand, diskutierte an der einen oder anderen Stelle über die Frage, ob das nun ein gewonnener oder zwei verlorene Punkte waren und freute sich, dass die Fahrt von Frankfurt nach Berlin einigermaßen fix geht. Nach 4 intensiven Tagen auf Achse rief das eigene Bett ziemlich laut.

 

Fazit: Englische Wochen sind hart. Und dennoch war dieser Kurzurlaub erlebnisreich. Die Gespräche mit den netten Exilherthanern, die liebevolle Gastfreundschaft von Opas Gastgebern, neue Eindrücke von bisher wenig geliebten Städten, kulinarische Köstlichkeiten... all das sind einige der Antworten, die Opa sich immer wieder vor Augen hält, wenn er sich mal wieder die Frage stellt, warum er sich das alles antut. Die 3 Tage Urlaub waren jedenfalls bestens investiert und keine Sorge, Opa kommt wieder ;)